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Inhalt – Philosophisches

Unmittelbarkeit der Formulierung

Stephan Schlensog über das brahmanische System der Mimamsa – Schule:
” ‘Da der Veda keinen Verfasser hat und damit nicht menschlichen Ursprungs, sondern geoffenbart ist, muß er aus ewigen Worten bestehen, die – indem sie für sich allein sprechen – wie die sinnliche Wahrnehmung eine unmittelbare Erkenntnis ihres Gegenstandes vermitteln, weil ihre Beziehung zu diesem ewig und ursprünglich (autpattika) ist. Ewig sind die Worte aber in latenter Form; erst durch die aufeinanderfolgende Aussprache der einzelnen sie konstituierenden Laute wird ihre Bedeutung kurzzeitig auf die Ebene der Manifestation gehoben.’ Mit der Zeit entstand so eine bemerkenswerte Sprachphilosophie und Erkenntnislehre, die der Mimamsa einen ebenbürtigen Platz neben den übrigen klassischen Systemen verschaffte.”

Fichte sagt in seinen Reden an die deutsche Nation:
“Im allgemeinen erhellet, daß diese sinnbildliche Bezeichnung des Übersinnlichen jedesmal nach der Stufe der Entwicklung des sinnlichen Erkenntnisvermögens unter dem gegebenen Volke sich richten müsse; daß daher der Anfang und Fortgang dieser sinnbildlichen Bezeichnung in verschiedenen Sprachen sehr verschieden ausfallen werde, nach der Verschiedenheit des Verhältnisses, das zwischen der sinnlichen, und geistigen Ausbildung des Volkes, das eine Sprache redet, statt gefunden, und fortwährend stattfindet.”
Und auf das Individuum und die ihm ganz eigene Möglichkeit herabgebrochen: Es gibt einen Lebensausdruck, der die ureigene Verbindung zum Geistigen darstellt. Alles, was der Einzelne tut, spiegelt letztlich dieses Verhältnis wider, in Wort, Tat und Ausdruck im Außen seiner Umgebung. Das Individuum erfindet (im linguistischen Sinne) keine neue Sprache, verfügt aber durch Kreativität und Eigensein über die Möglichkeit, sich in eine Unmittelbarkeit zur ‘ersten’ Formulierung zu begeben. Der Ausdruck durch Kreativität und Gestaltung jeder Art aber entspringt dem unbedingten Impetus zur Teilhabe am Ganzen durch den alleinig-individuellen Prozeß, so er Ausdruck eben dieser zum Ganzen leitenden (geistigen) Autarkie wird. Nachfolge, Ritus und Symbol stehen diametral gegen diese Entwicklung.

Ethische Belehrung durch Krishna

” – Furchtlosigkeit, Reinheit des Wesens, Erkenntnis, Hingebung; Beständigkeit, Freigebigkeit, Bezähmung, Opfer, Vedastudium, Askese, Geradsinnigkeit.
– Schonung, Wahrhaftigkeit, Nichtzürnen, Entsagung, Nicht-Hinterbringen, Mitleid mit den Wesen, Nicht-Begehrlichkeit, Milde, Schamhafigkeit, Nicht-Unstetsein.
– Energie, Geduld, Festigkeit, Sauberkeit, Harmlosigkeit, Nicht-Überhebung, – diese, o Bharata, werden dem zuteil, welcher für ein göttliches Geschick geboren ist.
– Hinterlist, Stolz, Hochmut, Zorn, Schroffheit, Nichtwissen, – diese dem, der für ein dämonisches Geschick geboren ist, o Prithasohn.
– Das göttliche Geschick führt zur Erlösung, das dämonische zur Bindung. Klage nicht, o Sohn des Pandu, du bist für ein göttliches Geschick geboren.”

Erlösung und Unsterblichkeit erlangt freilich nur derjenige, der wie ein Yogin seine Bindung an die Gunas durchschaut, der ‘erkennt’, daß kein anderer Täter als die Gunas vorhanden ist, der diese überwindet und hinter sich läßt. Von ‘niskamakarman‘ ist die Rede, von leidenschaftslosem Tun, welches das Handeln des Erlösung Suchenden auszeichnen soll – darauf läuft die ethische Belehrung Krsnas in der Bhagavadgita hinaus. Taten ohne Anhaften binden nicht. Und erst wenn alle Taten selbstlos ohne Gier nach dem Ergebnis getan werden, dann wird der Mensch von allem Leiden befreit, wird er gleichmütig und gelassen ‘zur Brahman-Werdung reif’, unsterblich. So wird er schließlich fähig zur Verehrung und Liebe Krsnas, der sich dem zweifelnden Arjuna jetzt als höchster Gott offenbart:
“Durch die Verehrung erkennt er mich, meine Größe und wer ich bin, dem Wesen nach; hat er mich aber dem Wesen nach erkannt, so geht er sogleich in dasselbe ein. Und indem er allezeit alle seine Werke tut im Hinblick auf mich, erlangt er durch meine Gnade die ewige, unvergängliche Stätte.” (Stephan Schlensog)

Selbst

Über den Vedanta, Stephan Schlensog:
“Der Mensch (jiva) besteht aus Körper (sarira), Bewußtsein (jnana) und Seele. Der Körper individuiert die Seele, das Bewußtsein ist das für das Ich oder die Seele wesentliche und charakterisierende Attribut. Dieses attributive Bewußtsein variiert je nach den individuellen karmischen Bedingungen. Als Selbstbewußtsein ist das Bewußtsein hingegen eine Substanz, die allen Menschen gleichermaßen eigen ist. Im Selbstbewußtsein stimmen alle Seelen substanziell nicht nur miteinander überein, sondern sind auch mit Gott, dem obersten Selbst, wesensgleich und identisch. Insofern kann, wie im Advaita, von einer Identität von Atman und Brahman gesprochen werden, ohne aber Individuum und Brahman einfach zu identifizieren.”

Fichte: “Dieser tiefsinnende Ernst, diese strenge Sammlung des Gemüts, und Einkehr zu sich selber, ist die einzige Bedingung, unter welcher das selige Leben an uns kommen kann; unter dieser Bedingung kommt es aber auch gewiß und unfehlbar an uns.”

C. G. Jung: “Wie immer man das Selbst definieren mag, so ist es etwas anderes als das Ich, und insofern eine höhere Einsicht vom Ich überleitet zum Selbst, so ist letzteres ein Umfänglicheres, welches die Erfahrung des Ich in sich schließt und dieses daher überragt. Gleich wie das Ich eine gewisse Erfahrung meiner Selbst ist, so ist das Selbst eine Erfahrung meines Ich, welche aber nicht mehr in der Form eines erweiterten oder höheren Ich, sondern in Form eines Nicht-Ich erlebt wird.”

Fichtes ‘selige Leben’, das ist das Leben des Selbst, das das Trugbild des Ego ins Unermeßliche übersteigt und eine Verbindung sucht mit seiner Herkunft in der totalen transzendenten Entität und Identität.

Sakrale Potenz

Stephan Schlensog: “Nach indischer Vorstellung ist ‘Raum’ kein bloßes dreidimensionales Gebilde, nach Koordinaten aufgeteilt, sondern eine Art Kraftfeld, eine sakrale Potenz, die jeweils den Eigenschaften entspricht der sich in diesem Raum manifestierenden Entitäten – und zwar nicht nur der materiellen, sondern auch der nichtmateriellen, geistigen. So stirbt der Mensch nach indischem Verständnis auch nicht wirklich, sondern er wechselt nur den Raum, die Sphäre seiner Existenz, und ändert dabei auch seine Eigenschaften.”
C.G. Jung: “Nur in dem Bilde, das wir erschaffen, erscheinen wir. Nur in unserer schöpferischen Tat treten wir völlig ins Licht und werden uns selber als Ganzes erkennbar. Nie setzen wir der Welt ein anderes Gesicht auf als unser eigenes, und eben darum müssen wir es auch tun, um uns selbst zu finden.”

Volkmann-Schluck über den Nauplatonismus: “Daß dem Seienden die ontologische Grundbestimmung der Ständigkeit zukommt, besagt, daß das eidetisch Seiende erst durch das Sichbilden der Selbst-Anschauung eines Sich-gleichen zum Sein kommt. Die Ständigkeit des Seienden ist die Standfestigkeit des in sich zurückgebeugten Denkens. Diese Ständigkeit als Standfestigkeit des Denkens ist selbst der ontologische Grundcharakter der Bestimmtheit und Gestalthaftigkeit der Wesen. Auf die Einheit gerichtet gewinnt die Reflexionsbewegung der Noesis die Ständigkeit des Seins, und so kommt es zur Bildung der unterschiedenen Seinsgehalte, die als Nou des Nous in der Identität ihres Was und in der aufeinander bezogenen Verschiedenheit gedacht werden. Der im Seienden als solchem liegende Unterschied bildet sich zur Vielheit der gegeneinander verschiedenen Wesen aus.”

Der gesamte Raum in seiner viel- und höherdimensionaler Sicht ist als ein Informationsfeld zu betrachten (die “sakrale Potenz”) -die Fülle, die Noussphäre! – , aus dem das Subjekt einen der ungenannten Emanationsstränge beziehend ‘Realität’ gebiert. Dies geschieht indes allein durch Perzeption, also durch die Umsetzung dieses Potentials in eine Ansicht. Hierzu erfahren wir bei
Carlos Castaneda: “Eine Verschiebung des Montagepunktes über die Mittellinie des menschlichen Kokon hinaus, stellte Don Juan fest, lasse die ganze Welt, wie wir sie kennen, im Handumdrehn aus unserem Blick verschwinden, ganz als wäre sie ausgelöscht – denn die Stabilität, die Materialität, die unserer wahrnehmbaren Welt anzuhaften scheine, sei nur die Kraft der Ausrichtung. Aufgrund der Fixierung des Montagepunktes an einen bestimmten Platz würden routinemäßig bestimmte Emanationen ausgerichtet. Mehr habe es nicht auf sich mit der Welt.”

Aus individueller Warte gebiert der Einzelne eine Art Solipsismus, da im Außen der Stand jenes Einzelnen dargestellt ist.
Aus dem Zweiten Buch, Wissen, von Fichte:
“In aller Wahrnehmung nimmst du lediglich deinen eigenen Zustand wahr.
Es gibt nichts Sichtbares oder Fühlbares überhaupt, weil es kein Sehen oder Fühlen überhaupt gibt.
Du verbreitest sonach die Empfindbarkeit, und zwar deine eigne … durch die ganze Masse hindurch; und diese selbst ist überall nichts anders als das Empfindbare selbst.
…und alles, was du außer dir erblickst, bist immer du selbst. Man hat dieses Bewußtsein sehr passend Anschauung genannt. In allem Bewußtsein schaue ich mich selbst an; denn ich bin Ich: Für das Subjektive, Das Bewusstseiende, ist es Anschauung. Und das Objektive, das Angeschaute und Bewusste, bin abermals ich selbst, dasselbe Ich, welches auch das anschauende ist – nur eben objektiv, vorschwebend dem Subjektiven.”
Entsprechend geschieht dies in der Summierung durch das Kollektiv und seiner intersubjektiven Wahrnehmung: All dies Perzipierte – als Welt bezeichnete – ist aus höherer Sicht (intersubjektive) Projektion, Schein, Bild, gemindertes Sein, Trug und Symbol.

Mythische Substanz

Stephan Schlensog über den Hinduismus: “Einheit der Vielfalt, Vielfalt der Einheit: indische Götter können seit jeher viele Formen, Namen oder Körper haben, jeder göttliche Aspekt kann sich verschieden manifestieren – als Eigenschaft, in Substanzen, Objekten, Zahlen, Farben, Klängen, Zeitperioden, Versmaßen etc., verehrt wird nicht der jeweilige Gott als Person oder Individuum, sondern als ‘mythische Substanz’, die sich in verschiedenen Graden und auf verschiedene Weisen zeigen kann. So finden sich schon früh Bestrebungen, das Eine hinter der Vielfalt der Erscheinungen zu suchen, während es für Hindus selbstverständlich ist, daß sich dies Eine auf verschiedene Weise manifestiert, auf verschiedene Weisen zugänglich ist. Niemand hat Zugriff auf das Ganze, keine Glaubensrichtung und keine Gottesverehrung kann für sich in Anspruch nehmen, allumfassend, allein richtig und damit exklusiv gültig zu sein.”

Und Erik Hornung über die ägyptische Götterwelt:
“Der Einblick in ägyptische Ontologie hat gezeigt, daß eine absolute Einheit und Transzendenz Gottes, ja jegliche Absolutheit Gottes, der ägyptischen Auffassung vom Sein zuwiderläuft; nur ein Gott, der nicht ist, kann absolute Eigenschaften haben. Die Überlegungen zum ägyptischen Denken legen nahe, daß eine ausschließliche und ausschließende Einheit Gottes für den Ägypter im vollsten Wortsinn undenkbar ist, weil er in komplementären Aussagen denkt. Darüber hinaus tauchte die Möglichkeit auf, daß ein Monotheismus für ägyptisches Denken logisch ausgeschlossen war und daher, trotz aller Ansätze, nicht verwirklicht worden ist.”

Es gibt demnach einen bereits in frühester Zeit eingenommenen Bewußtseinsstand, der den Nachvollzug hoher transzendenter Erfahrung beschreibt, die nämlich die Übersteigung der personalen Götter, die Herabstufung der sogenannten Höchsten Entität(en) nur zum Platzhalter und Bild beinhaltet. Diesen Erkenntnis- Schritt hat die levantinische Vorstellung nie vollzogen, mit allen (eso- und exoterischen) fatalen, hemmenden und mindernden Konsequenzen, die ihre Verkürzungen in Dogmatik bei gleichzeitigem Exzeptionalismus mit anmaßend personalem Gottesbezug bis heute (oder gerade heute) nach sich ziehen.

Zum Sein

Stephan Schlensog über den Hinduismus: “So wie das Seil die Grundlage für die Illusion der Schlange ist, so ist OM die Grundlage für die Illusion der Sprache. Alles ist nur ein Spiel der Worte. Ideen und Gedanken werden durch Worte kommuniziert. Ereignisse werden durch Worte weitererzählt. Alles wird zusammengehalten durch den Faden der Sprache, durch das Band spezifischer Namen. Die Welt kann nicht ohne Namen und Worte existieren. Die Welt kann nicht weiterlaufen ohne Namen und Worte. Deswegen kann man mit Recht sagen: Alles ist das Wort.”
(Mandukya-Upanisad)

Auf einer tiefsten Ebene: Die Zahl ist es, die Idee physikalisch zum Sein diskriminiert: “Der sinnliche Kosmos entsteht dadurch, daß das dem Nous entgleitende Unbegrenzte zugleich aufgefangen wird, und zwar aus der begrenzenden Kraft der Zahl.” (Volkmann-Schluck über den Neuplatonismus)
Die Sprache indes implementiert Bedeutung, und zwar im apriorischen wie im aposteriorischen Sinn: Denn drückt sie Intension aus, ist sie mit dem Geistigen verbunden und drängt erst entsprechend (das Geistige/das Ideelle, die Idee) zum Werden. Bezeichnet sie hingegen Dinge, die existent sind, wird sie wirksam in einem Sinne, der die Bedeutung der Dinge in ihrem Dasein weiterhin auflädt oder formt.
Fichte spricht in den Reden an die Deutsche Nation von der Existenz einer Sprache als einer lebendigen Sprache, die bis auf die Wurzel der Ausströmung der Begriffe aus der geistigen Natur selbst zurückgeht.
Es geht auch hier ganz um eine Selbsttätigkeit des Geistes: “Wenn er nur sucht, so findet er mehr als er suchte; denn er gerät hinein in den Strom lebendigen Lebens, das durch sich selbst fortrinnt, und ihn mit sich fortreißt.”
Wenn man nun sagt: Alles was ist, ist das Wort – dann sind diejenigen, die jene Worte nutzen, die unmittelbar in der Rückbindung zum Geistigen stehen, eben jene, die mit Wirkmacht Welt kreieren.

Upanishad, Identität

Stephan Schlensog über den Upanishad: “So gelangte man schließlich zu der Einsicht, die im indischen Denken Geschichte machen sollte: Atman, der individuelle, personale Urgrund, ist transzendent und identisch mit jenem alles umgreifenden seelenhaft-geistigen kosmischen Urgrund Brahman. Ein Gedanke, der an manchen Stellen zunächst nur sehr zurückhaltend anklingt – etwa in der Frage Usastas an Yajnavalkya: ‘Erkläre mir das Brahman… die Seele (atman) in allen Dingen’, oder bei jenen fünf Hausherren, die sich fragen: Wer ist unser Atman, was ist Brahman?’ -, der aber anderswo um so deutlicher und unüberhörbar zum Ausdruck kommt: “Wahrlich, diese große ungeborene Seele, unvergänglich, unsterblich, furchtlos, ist Brahman’, ‘die Seele (atman), die alles durchdringt, …ist Brahman.”

Identität:
“Außer Gott, außer dem Sein nämlich, ist nichts. Also hat er entweder überhaupt nicht geschaffen, oder er hat alles in sich selbst als dem Urgrund geschaffen.” (Meister Eckhart, Prologus Generalis)

So ist neben allem anderen auch der Mensch diesem ‘Urgrund’ entsprungen, und sein Auftrag soll sein, hierüber echte Gewahrsamkeit zu erlangen, um einst diesem – seinem eigentlichen – Wesen, das er verlassen hat, gerecht zu werden. So wie ‘Gott’ an sich alles ist, und allem Raumzeitlichen nur abkömmliches, relativiertes Sein zukommt, so ist zuletzt der Mensch auch nicht wahrhaft ‘existent’ als Mensch, sondern er erlangt wahre Existenz ja nur, indem er sich ‘Gott’ ganz eigen macht oder in seiner Größe gleichwerdend aufgeht. In der Entfernung von seinem Ursprung ist er indes – vermeintlich – klein und defizient, ohne sein (wahres) Sein und mithin nur scheinhaft existent. Ich fasse jeher so auch die ganze Lehre Meister Eckharts passend in einem einzigen kurzen Satz zusammen: Der Mensch ist nur als Gott.

Upanishad, Aneignung

Stephan Schlensog über den Upanishad: “Wenn einer nichts anderes sieht, nichts anderes hört, nichts anderes erkennt, das ist Fülle. Aber wenn einer etwas anderes sieht… hört…erkennt, das ist Wenigkeit. Fülle ist Unsterbliches, Wenigkeit ist Sterbliches…
Die Fülle ist unten, oben, im Westen, Osten, Süden, Norden; die Fülle ist die ganze Welt…
Das Selbst ist unten, oben, im Westen, Osten, Süden, Norden; das Selbst ist die ganze Welt…
Wer so sieht, so bedenkt, so erkennt, der vergnügt sich mit dem Selbst, spielt mit dem Selbst, begattet sich mit dem Selbst, erfreut sich an dem Selbst, ist ein Selbstbeherrscher und genießt Freiheit in diesen Welten…
Aus dem Selbst dessen, der so sieht, denkt, erkennt, geht…diese ganze Welt hervor. So heißt es in einem Vers: ‘Nicht sieht der Sehende Tod, Krankheit oder Leid. Der Sehende ist das All. Das All erlangt er ganz.’ “
(Chandogya Upanisad)
Mit anderen Worten: Der Mystiker erfährt in der Versenkung nichts als sein Selbst. Aber dieses Selbst, seine Seele, ist nicht nur er, sein Wesenskern, es ist zugleich die eigentliche, allem zugrunde liegende Wirklichkeit, die sich hinter der Vielheit der Erscheinungen verbirgt, aus der alles hervorgeht und in die am Ende alles wieder eingehen wird. Ja, die Menschenseele – so ist der epochale denkerische Schritt, der in den Upanisads gegangen wird – ist ‘im Grunde’ identisch mit der Weltseele, dem Urgrund des gesamten Universums. Seit den Brahmanas sollte sich dafür ein zweiter Begriff durchsetzen, mit dem die Upanisads – manche Texte deuteten dies bereits an – den Begriff ‘Atman’ zusehends gleichbedeutend verwenden.”

Und über Identität finden wir für die Philosophie des Neuplatonismus folgendes Wort: “Zum wahren Selbstbesitz gelangt die Seele aber durch die im Lernen vollzogene Aneignung der Wissensgehalte, die ihr zunächst fremd gegenüberstehen, die sie sich aber im Lernvollzug zu eigen macht. Die Einung mit dem Wissensgehalt ist aber in Wahrheit die eigene Wesenaneignung – ‘er-innertes’ Wissen – , durch die sich gegenüber dem Taumel des Tuns zur ruhigen Schau erhebt.” (Volkmann-Schluck über den Neuplatonismus)

Einung heißt Aneignung all dessen, was der isolierten Seelenposition nicht bekannt ist. In der totalen Aneignung und Umfassung der Aspekte, derer sie defizient zu sein scheint, wird sie ganz – wird sie das Ganze, das alles ist und einzig ist. Alles kommt zu ihr, meint: Sie wird zu Allem, also zu ihrem Selbst in ihrem ursprünglichsten Ganz-Sein, und hierbei kommt es zu einem Durchgang durch das Bild.
Fichte: “Die ganze Sinneswelt entsteht nur durch das Wissen, und ist selbst unser Wissen; aber Wissen ist nicht Realität, eben darum weil es Wissen ist. … Hast du kein anderes Organ, (die andere Realität) zu ergreifen, so wirst du sie nimmer finden.” (Die Bestimmung des Menschen)

Das vorhin gemeinte Wissen ist aber ein tiefes Wissen um Aneignung der noussphärischen Inhalte – beginnend bei der Sinneswelt, jedoch nicht dort verweilend.
Im hinduistischen Moksadharma der Gedanke einer totalen Umfassung, die auch die verschiedenen Ausprägungen der vielen Seins-Möglichkeiten zu integrieren bereit ist: “Als der eine kann er die Sinnendinge genießen und zugleich als ein anderer fruchtbare Askese üben, und wiederum, oh Freund, [alle seine Selbste] in eins zusammenfassen, wie die Sonne ihre Lichtfülle.”

Upanishad, Denken

Stephan Schlensog über den Upanishad: “Atman: Er ist der ‘Seher des Sehens’, der ‘Hörer des Hörens’, der ‘Denker des Denkens’ und der ‘Erkenner des Erkennens’. Er ist der ‘aus Erkenntnis bestehende im Herzen innerlich leuchtende Geist’, das ‘Licht der Lichter’, ‘welches inwendig hier im Menschen ist’ und zugleich jenseits des Himmels, in den höchsten, allerhöchsten Welten leuchtet. Er ist das eigentliche Subjekt unseres Erkennens, das nicht zum Objekt der Erkenntnis werden kann, das letztlich – intellektuell – unerkennbar bleibt.

Das Atman, das Selbst, der Seinsgrund des Menschen, ist keine sensitiv oder intellektuell erfaßbare Entität, sondern er ist die tiefste Tiefe menschlicher Existenz, über die zwar spekuliert werden kann, die aber im Grunde eben nur erfahrbar ist: Sei es in der mystischen Schau meditativer Versenkung oder etwa – zumindest ansatzweise – im traumlosen Tiefschlaf, wo das Selbst in Gestalt des Seelenmännchens zeitweise hinübergeht und eins wird mit der ‘Brahma-Welt’, jenem Zustand absoluter Wonne uns Seligkeit.”

Volkmann-Schluck über den Neuplatonismus: “Denken hat immer schon den Schritt zur Zweiheit vollzogen, zum Unterschied überhaupt, den es zu seinem wesentlichen Element macht. Das Erfahren des Einen aber erfordert ein Sich-halten im Einssein und Ganzsein ohne den Unterschied. “
Und: “Die Seele, die bei ihrem Rückzug im Vollzug der Selbstbesinnung auf die in sich geeinigte Ganzheit des Nous blickt, darf daher nichts mitnehmen von Vorstellungen aus der zerstreuten Sinnessphäre, die zerstreuend ist. Erst im Geist wird der Bezirk erreicht, von dem aus das schlechthin ungegenständliche Sein des Einen zugänglich wird. Sein Innewerden zwingt zum Rückzug des Denkens aus der Vielheit seines Gedachten in eine neue Einheitsdimension von seinsspezifischer Andersheit.”

Somit kommt es zu einem “Rückzug in das Innere”, zu einem “Sehen (des Geistes) seines eigenen Lichtes”.

Für das aktuelle und alltägliche Leben aber kann dies heißen, ein (durchaus denkerisches) Bewußtsein zu erlangen über ein mögliches Gewahrsein ‘totaler Existenz’ – Aneignung und Zuwachs geschehen hierbei auch über den Intellekt, aber es ist dann vor allem das Sein allein in seiner sich transzendierenden Lebensart, das sich zu seiner eigentlichen Größe neigt und so dann die denkerischen Inhalte selber ein
Denken meinen, das eben eine andere Form des Denkens annimmt: Der Intellekt wird zum Diener seiner hohen Bestimmung – Denken wird Dasein im Geistigen.

Upanishad, über dem Bild

Stephan Schlensog über den Upanishad: “Er soll ehrfürchtig über das Selbst nachsinnen: daß es aus Geist [manas] besteht, daß sein Körper der Atem [prana] ist, daß seine Gestalt der Glanz ist, daß sein Wesen der leere Raum [akasa, der ‘Äther] ist; daß es nach Wunsch Gestalten annehmen kann, daß es schnell wie der Geist [manas]ist; daß seine Entschlüsse sich verwirklichen… daß es alle Gerüche und Geschmäcke in sich hat, daß es alle Richtungen beherrscht, daß es die ganze Welt durchdringt, daß es ohne Rede ist und nichts [anderes] beachtet. Wie ein Reiskorn oder ein Gerstenkorn oder ein Hirsekorn oder der Kern eines Hirsekorns, so ist dieser Purusa im Inneren des Selbst golden wie eine Flamme ohne Rauch. Er ist größer als der Himmel, größer als der leere Raum, größer als diese Erde, größer als alle Wesen. Er ist das Selbst des Atems, er ist mein Selbst. In dieses Selbst werde ich, wenn ich von hier scheide, eingehen. Wer dies [realisiert] hat, für den gibt es keine Unsicherheit.”

Nach Johannes Scotus: “Erhebung… ist nicht nur ein allmähliches Sich-Annähern an Gott – in bleibender Distanz zu ihm, sondern zugleich ein Prozeß einer deificatio – eines Gott-Werdens, der allererst ein Sehen Gottes ermöglicht und diese Erfahrung in ihm selbst beständigt. : ‘Nachdem sie einmal das Angesicht der Wahrheit geschaut hat, wird die scharfe Sicht der innerlichen (nach innen dringenden) Betrachtung niemals mehr erschüttert, niemals mehr getäuscht, durch kein Dunkel verfinstert – für alle Zeit.’ ” (Werner Beierwaltes)

Der Mensch indes ist seiner Wesensart nach prinzipiell größer als alle Ausdehnung, was aus der üblichen Dimensionalität heraus gedacht unvorstellbar erscheinen muß, was eben erst dann zu Gewahrsein kommen kann, wenn die Seele in einem Dimensionsübertritt all dies Weltliche – sei es noch so groß und unergründlich wie das All selbst – übersteigt und eben über aller dieser Bildlichkeit zu stehen kommt und mit den Entitäten verbunden ist, die alles Bild erst hervorbringen. Dies ein Signum der Unermeßlichkeit der energetischen Wesensart der Geistsphäre, die eben vor dem (von weltlicher Warte aus als nicht relativierbar erachtetem) Bild ist, die somit Aufschluß gibt über die unbegreifliche Macht und Majestät des eigenen seinskonstitutiven Wesenskerns und der ontischen Höherrangigkeit von Geist-Sein als wahrer Existenz.