Trachten, Denken, Sein

Plotin sagt: “Das Vielfache mag wohl nach sich selber suchen und den Wunsch haben, sich auf sich selber zu richten und ein Bewußtsein von sich zu haben. Was aber schlechthin Eines ist, wohin sollte das gehen, wenn es zu sich selber gehen will? Wozu sollte es eines Bewußtseins von sich selber bedürfen? Was aber über das Selbstbewußtsein, das ist auch über alles Denken erhaben. Denn das Denkende ist nicht das Erste, weder an Sein noch an Wert, sondern Zweites, ist erst entstanden, als das Gute schon da war und das Gewordene auf sich hin bewegte, so daß es in Bewegung kam und es erblickte. Das eben ist das Denken: Bewegung des Denkenden auf das Gute hin, nach dem es trachtet. Denn das Trachten hat das Denken erzeugt und zugleich mit sich selbst ins Dasein gerufen; denn Sehen ist Sehen-Wollen. Keineswegs kann also das Gute sich selber denken. Denn das Gute ist nicht von sich selber verschieden. Und das vom Guten Verschiedene, wenn es das Gute denkt, tut dies dadurch, daß es gut-artig ist, Ähnlichkeit hat mit dem Guten, es denkt es, weil es gut und Ziel seines Trachtens ist und weil es gleichsam eine Vorstellung des Guten empfängt. Und ist es ewig in dieser Verfassung, so denkt es ewig das Gute. Anderseits denkt es, indem es das Gute denkt, auch akzidentiell sich selber, denn es denkt sich selber, indem es auf das Gute hinblickt. Denn es denkt auch sich selbt, indem es seine eigne Wirkungskraft (Aktualität) entfaltet: die Wirkungskraft aber ist bei allen Dingen auf das Gute gerichtet.”

Denken ist, wenn es wesenhaft zu sich kommt, vielmehr ein aktives und aktivierendes Werden und Sein – eben aus einem Impetus, der sich im Nous verortet. Es nimmt also Anteil an dem ontisch höherwertigen Zustand, der Präposition und Idee meint. Es ist ein Vordenken zum Sein in Verwirklichung, hier genauer gesagt: ein Gut sein – denn das Gute als Qualität des Einen ist zuletzt die erstaunlich einfache Bestimmung zum Sein allerhöchsten Ranges. Denn wer gut wird, wird Gefäß zur Aufnahme der Wesenhaftigkeit, der schlicht die Totalität des Seins, des Einzigen meint. Daher auch sagt Meister Eckhart: “Je vollkommener und reiner die Kräfte der Seele sind, umso vollkommener und umfassender nehmen sie das, was sie erfassen, auf und empfangen umso mehr und empfinden umso größere Wonne und werden umso mehr eins mit dem, was sie aufnehmen, und zwar in dem Maße, daß schließlich die oberste Kraft der Seele, die aller Dinge bloß ist und mit nichts etwas gemein hat, nicht weniger als Gott selbst in der Weite und Fülle seines Seins aufnimmt.” (Buch der göttlichen Tröstung)