Schopenhauer und Christentum

Nun hat man Schopenhauer nicht zuletzt wegen unten aufgeführter (und ähnlicher) Aussagen ein apodiktisches Ressentiment gegen das Christentum vorgeworfen. Genau betrachtet kann hiervon allerdings keine echte Rede sein, denn Schopenhauer steht in einer eigenen und dieser Art positiven Resonanz zum Christentum, indem er nämlich in der jesuanischen Lehre Konvergenzen zu den östlichen Weisheitslehren (und so also zu seiner eigenen) entdeckt, die er dem Abrahmitischen gegenüberstellt und scharf kontrastiert. In der Äußerung, er selber, Meister Eckhart und Buddha würden das selbe lehren, vollzieht sich der genauer bezeichnete Interpretationsradius und noch mehr die Grundverortung eines von Schopenhauer identifizierten jesuanischen Kerns.(Der in gnostischen Texten viel klarer vor uns liegt, von Schopenhauer aber meines Wissens nicht gekannt werden konnte, was seine Klarsichtigkeit bezüglich der eigentlichen jesuanischen Intention umso bemerkenswerter macht.)

“Gott ist in der neuen Philosophie, was die letzten fränkischen Könige unter den Majores Domus, ein leerer Name den man beibehält, um bequemer und unangefochtener sein Wesen treiben zu können.”

“Die rohen Gemüter zu bändigen und von Unrecht und Grausamkeit abzuhalten, taugt nicht die Wahrheit: denn sie können sie nicht fassen: also der Irrtum, ein Märchen, eine Parabel. Daher Nothwendigkeit der positiven Glaubenslehren.”

“Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht Gott sein: ihr Jammer würde mir das Herz zerreißen.”

“Pseudophilosophen nenne ich die, welche unter dem Vorgeben, nach der Wahrheit zu forschen, an der Perpoetuierung alter occidentalischer Irrtümer geflissentlich arbeiten.”

“Zum Glauben ist man kein Philosoph.”

“Seitdem die ultima ratio theologorum, der Scheiterhaufen, nicht mehr ins Spile kommt, wäre eine Memme, wer noch viel Umstände mit Lug und Trug machte.”

In folgenden Worten erkennt man sodann das eingangs festgestellte:

“Bei keiner Sache hat man so sehr Kern und Schaale zu unterscheiden, wie beim Christenthum. Eben weil ich den Kern liebe, zerbreche ich bisweilen die Schaale.”

“Parsen, Juden und Muhamedaner beten einen Weltschöpfer an, Hindu, Buddhaisten und Jainas hingegen Weltüberwinder und in gewissem Sinne Weltvernichter.Offenbar gehört das eigentliche oder neutestamentarische Christenthum dieser zweiten Klasse an, ist aber auf historischem Wege mit einer aus der ersten Klasse gewaltsam verbunden.”

Schopenhauer sieht in der Entwicklung der zweiten Kategorie eine Bewegung, die eben dem philosophischen Denkansatz nicht widerspricht: Das vornicänische, von gnostischem Denken durchsetzte Christentum ließe sich hier in seine Denkintentionen indes bestens integrieren.