Ein seelisches Hinaufziehen

Plotin: “Die Fähigkeiten der Seele hält man wegen der menschlichen Schwachheit für unglaubwürdig; sie werden durch den Leib verdunkelt; in der oberen Welt aber ist das alles und jedes einzelne leuchtend klar.”
“Die Wahrnehmung ist uns Bote, König aber ist für uns der Geist. Aber auch wir sind König, wen wir uns nach seiner Weisung verhalten. Nach seiner Weisung können wir uns zweifach verhalten: entweder, indem gewissermaßen Schriftzeichen wie Satzungen in uns geschrieben sind, oder indem wir gleichsam von ihm erfüllt werden oder sogar seine Anwesenheit sehen und gewahren können. Dann erkennen wir uns indem wir durch eine solche Sicht das übrige ermessen; oder indem wir das Vermögen, das derartiges erkennt, an dem Vermögen selbst ermessen oder indem wir sogar zu jenem Gesehen selbst werden, so daß es zwei Arten des Sich-selbst-Erkennens gibt: einmal indem man die Natur des Überlegungsvermögens der Seele ekennt, die ander Art steht über dieser, indem man sich selbst durch den Geist erkennt, indem man Geist wird; und vermöge des Geistes denkt man sich nicht mehr als Menschen, sondern ist gänzlich ein anderer geworden und hat sich in die Höhe entrückt, indem man nun den besseren Teil der Seele, der auch allein sich zum Denken beflügeln kann, hinaufzieht, damit jemand dort aufbewahre, was man sah.”

Die Wendung “durch den Leib verdunkelt”: Das meint die (Welt-) Konstruktion im Vorgang der Reduktion durch die menschliche Perzeptionsphysiologie.
Und das hier besprochenes “Hinaufziehen” ist naturgemäß eine transpersonale und transhumane Wegweisung (man denke hier auch an Nietzsches Überwindungsgestus, der allerdings stets die aus ihm resultierende Seinssteigerung als Transzendenzbegriff scheuen mag: “Daß der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse. – daß der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenröten.”)
Freilich muß man hier die gewohnten Relationen (der Betrachtung) im Sinne einer monistischen Perspektive anpassen: Der Mensch ist ja nicht, ist wie alles sonst nur Form im Bild. Der Änderung unterworfen ist daher nur die Art der Erfassung oder Empfängnis vom Bild-Potentiellen im explikativen Gestus des Einen.
“Die Seele muß, anders als der Nous, der in der Notwendigkeit seines selbst ruht, im Gegenzug gegen eine in ihr wirksame Verfallenstendenz, die zu ihrem Wesen gehört, sich immer aufs neue zu sich selbst zurückbringen.” (Volkmann Schluck) Die Seele ist somit Abspiegelung des Nous!
Die Form als uns Bekanntes ist dabei schon denkbar tief emaniert, und so ist gerade sie Signum der (Seins-) Defizienz. Sie soll nicht gehalten werden, um dieserart zu bestehen. Sie soll auch nicht einfach verfallen. Sie soll sich vielmehr von ihrem Stand zur Vollkommenheit aufschwingen und vollendet werden und so aufhören, Bild zu sein, um wahrhaft Geist zu werden.