Fichte: “Keineswegs nämlich haben wir durch das Gesagte uns zur Partei jener Christianer schlagen wollen, für welche die Sache nur durch ihren Namen Wert zu haben scheint. Nur das metaphysische, keineswegs aber das historische, macht selig; das letztere macht nur verständig. Ist nur jemand wirklich mit Gott vereinigt, und in ihn eingekehrt, so ist es ganz gleichgültig, auf welchem Wege er dazu gekommen; und es wäre eine sehr unnütze und verkehrte Beschäftigung, anstatt in der Sache zu leben, nur immer das Andenken des Weges zu wiederholen. Falls Jesus in die Welt zurückkehren könnte, so ist zu erwarten, daß er vollkommen zufrieden sein würde, wenn er nur wirklich das Christentum in den Gemütern der Menschen herrschend fände, ob man nun seinen Verdienst dabei preisete, oder es überginge; und dies ist in der Tat das allergeringste, was von so eine Manne, der schon damals, als er lebte, nicht seine Ehre suchte, sondern die Ehre des der ihn gesandt hatte, sich erwarten ließe.”
(Fichte, Anweisung zum seligen Leben, sechste Vorlesung)
Zuletzt geht es bei der Lebensgeschichte Jesu schlicht um eine Veranschaulichung, eine Klärung über die eigentlichen Bedingungen unserer weltlichen Existenz. Es ist nicht einmal vorrangig wichtig, ob dies Leben historisch wahr ist. Sollte Jesus gelebt haben, wovon die Wissenschaft mehrheitlich ausgeht, ist trotzdem vieles falsch kanonisiert, und das, was kanonisiert wurde, ist falsch oder zumindest unzureichend gedeutet worden. Man kann für die Weltreligionen verallgemeinern: Die Verhaftung an (exklusiv angenommenen) Außenanssichten führt zudem nicht nur zur Hemmung der Einsicht über den Kern der Lehre (über das Metaphysische), sondern bereitet auch höchst konkret-exoterische Konflikte bis in die heutige Zeit. Peter Sloterdijk sagt hierzu: “Vor dem Hintergrund des Strukturwandels von Mitgliedschaft wird das Fortbestehen älterer und renovierter Formen totaler Angehörigkeit zu einem Sonderproblem der Moderne. ”
Weiter gefasst handelt es sich hier um ein umfassendes Telos- Problem, denn dem Satz von Karl Jaspers -daß wahr ist, was verbindet- der gleichzeitig für ein globales Fortschreiten in der Erkenntnis der Seinsbedingungen steht – läuft die Weigerung durch den äußeren Vollzug entgegen – die begleitende Geschichte, der Narrativ, die Tradition -auch das Symbol– wird alles bestimmend , man huldigt der Historie, der Person und gar der Geographie. All dies leitet in Außen-Bahnen, die vom Ursinn der Religion wegführen müssen. Und umso mehr gerinnt dies zum Problem, wenn diese Verhaftung Verankerung durch Politik und militärische und ökonomische Macht erfahren hat und so als spaltendes Prinzip das Tagesgeschäft maßgeblich negativ mitbestimmt.
Die eigentliche Dynamis durch echten religiösen Vollzug impliziert dabei tatsächlich eine Konfliktlinie, die aber an ganz anderer Stelle verläuft (die auch gleichzeitig der saturierten Zugehörigkeit der Offenbarungsreligion eine Absage erteilt) – wie es in einem Zitat von Ralph Waldo Emerson zum Ausdruck kommt: “Gott überlässt jeder Seele die Wahl zwischen Wahrheit und Ruhe.”
Der apokryphe Jesus sagt es weit drastischer: “Vielleicht denken die Menschen, daß ich gekommen bin, um Frieden auf die Welt zu werfen, und sie wissen nicht, daß ich gekommen bin, Spaltungen auf die Erde zu werfen, Feuer, Schwert, Krieg.” (Thomasevangelium, Logion 16) und: “Ich habe Feuer auf die Welt geworfen und siehe, ich hüte es, bis es lodert.” (Thomasevangelium, Logion 10)
Diese Sätze fügen sich in das Bild von einem dialektisch angelegten Lebensgrund der weltlichen Existenz und einen daran gekoppelten Menschenheits- Auftrag: Es ist ein höchst gegenwärtiger Vollzug gefordert (Fichte sagt eingangs, das Bekenntnis zum Metaphysischen heiße, “in der Sache leben“) etwas Unabgeschlossenes, noch Ungefundenes, Verdecktes soll -in aller Regel ja gegen vielfältigsten Widerstand- zur Geltung gebracht werden. Dies ist der wirkliche, religiöse (besser: esoterische) Frontverlauf und Grund zum Konflikt, ja zum Umsturz, und der Vollzug (die Kampflinie) verläuft ebenda und schließt als Gegner den Materialismus wie auch die dogmatische Religion mit ein: Es geht schlicht um das Bekenntnis zum Geistigen oder um seine Verneinung.