Fichte , eigentümliches, geistiges Sein

“Und so ist es denn der allerste Akt der höheren Moralität, welcher auch unausbleiblich, wenn nur der eigene Wille aufgegeben ist, sich findet, daß der Mensch seine, ihm eigentümliche, Bestimmung ergreife, und durchaus nichts anderes sein wolle, als dasjenige, was er, und nur Er, sein kann, was Er, und nur Er, zufolge seiner höheren Natur, d.i. des Göttlichen in ihm, sein soll: kurz, daß er eben gar nichts wolle, als das, was er recht im Grunde, wirklich will. Wie könnte denn ein solcher jemals mit Unlust etwas tun, da er nimmermehr etwas anderes tut, als dasjenige, woran er die höchste Lust hat. Die von der vollendeten Freiheit erzeugte Tugend ist die höchste Genialität; sie ist unmittelbar das Walten des Genius, d.h. derjenigen Gestalt, welche das göttliche Wesen in unserer Individualität angenommen. Dagegen ist das Streben, etwas anderes sein zu wollen, als das, wozu man bestimmt ist, so erhaben und groß auch dieses andere erscheinen möge, die höchste Unmoralität, und aller der Zwang, den man sich dabei antut, und alle die Unlust, die man darüber erduldet, sind selbst Empörungen gegen die uns warnende göttliche Ordnung, und Auflehnungen unseres Willens gegen den seinigen. Was ist es denn, das diesen, durch unsere Natur uns nicht aufgegebenen Zweck, gesetzt hat, außer der eigne Wille, die eigne Wahl die eigne, sich selbst die Ehre gebende Weisheit? Wir sind also weit davon entfernt, den eignen Willen aufgegeben zu haben. Auch ist dieses Bestreben notwendig die Quelle des höchsten Unglücks. Wir müssen uns in dieser Lage immerfort zwingen, nötigen, treiben, uns selbst verleugnen; denn wir können gar nicht tun, dasjenige, dem unsere Natur sich versagt. Dies ist die Werkheiligkeit, aus eigner Wahl, vor der z.B. das Christentum warnt. Es könnte einer Berge versetzen, und seinen Leib brennen lassen, ohne daß es ihm mindestens hülfe, wenn dies nicht seine Liebe wäre, d.h. wenn es nicht sein eigentümliches, geistiges Sein wäre, das notwendig seinen Affekt bei sich führt. -Wolle sein, – es versteht sich im Übersinnlichen, denn im Sinnlichen gibt es überhaupt kein Glück – wolle sein, was du sein sollst, was du sein kannst, und was du eben darum sein willst, – ist das Grundgesetz der höheren Moralität sowohl, als des seligen Leben.”
(Fichte, Anweisung zum seligen Leben, Seite 472)
Und hierzu gleich das passende Rezept der praktischen Lebensführung (der Lebensführung zum eigenen Sein und so zum Sein selbst) als Mystagogie Plotins, die sich von ihm in einem einzigen Satz ausdrücken läßt:’Tu alles fort.’ (Ich: Nur wer alles forttut, findet sein Sein.)