Mythos unserer Zeit (und seine Gegner)

Heisenberg: “Da die Quantentheorie im Zusammenhang mit der Atomlehre entstanden ist, so steht sie auch, trotz ihrer erkenntnistheoretischen Struktur, in enger Beziehung zu jenen Philosophien, die die Materie in den Mittelpunkt ihres Systems rücken. Aber die Entwicklung der letzten Jahre vollzieht doch sehr deutlich -wenn man überhaupt Vergleiche mit der antiken Philosophie ziehen will – die Wendung von Demokrit zu Plato.”
Zu dieser Denkart ist ergänzend der Ansatz Wolfang Paulis zu erwähnen, denn der Physik-Nobelpreisträger und Freund C.G. Jungs, sprach gar während der 50’er Jahre von der Einheitsbestrebung einer komplementären Sicht aus Rationalität und Mystik als dem unausgesprochenen Mythos unserer heutigen Zeit. Daß dieser Mythos sich aber bisher so kaum entwickeln konnte, ist auf die ungebrochene Dominanz seiner beiden (verwandten) großen Feinde zurückzuführen: Den Theismus und den Materialismus nach Hegel bzw. den dialektischen Materialismus oder Marxismus (der heute als Neomarxismus wachsende Dominanz beansprucht und ein zunehmend restriktives Meinungsklima herstellt). Der Theismus lebt ganz aus der Akzeptanz des Vorfindlichen als Welt, also aus einem naiven Realismus, er beschreibt dabei einen prinzipiell schroffen Dualismus von materieller und geistiger Natur. Später hat man die Einführung dieses Dualismus Descartes zugeschrieben, de facto aber ist er die Konsequenz aus der Lehre der Kirchenväter nach der Ausscheidung der gnostischen Elemente hin zu dem offiziellen römisch-petrinischen Dogma. Die geistige Welt hat dem Christ dabei nicht von wirklichem Interesse zu sein, sie ist zwar geglaubt, aber sie steht in keinem Seinsbezug zum jetzigen eigenen geistigen Selbst, der Bezug ist ganz reduziert und fokussiert auf das Vaterbild eines deus absconditus (Buch Jesaja: „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland.“ 45,15), daher auch wird jede vom Menschen versuchte Interaktion mit dem Geistigen als unzulässige Überschreitung seiner Kompetenz erachtet (und geahndet), etwa als verwerfliche magische Praxis; Aspekte der Selbsterlösung -und -erweiterung gelten (obwohl sie das Ich zu überwinden trachten) als ketzerische Anmaßung und Auflehnung gegen Gott. Das Geistige gerät so aber ganz in die Distanz, es wird von der Welt hinweggerückt, und unter der Betrachtung des ganz verschiedenen allmächtigen Gottvaters wird alles Hiesige zum reinen Objekt seines nämlichen Willens. Der Bezug des Christen ist entsprechend submissiv wie passiv, abwartend, ist nicht geistig gestaltend. Dem Christ ist Leben nicht Wachstum. Und wenn er ‘geistig’ meint, dann meint er diskursiv im scholastischen Sinne, also die ‘angewiesene’ Haltung nur zur Rechtfertigung der Offenbarungsinhalte gestaltend, oder – nicht-diskursiv- ergeben in Anbetung und Bewußtheit der Getrenntheit und individuellen Ohnmacht (der eigenen Gefallenheit).
Der Christ ist Demokritianer, ist ganz Atomist, er muß die Realität der Welt in ihrem materiellen, einem dem Menschen apriorischen (eben von Gott geschaffenen) Zustand anerkennen – und gleichzeitig muß er die Welt doch als zum Transzendenten überwindenswert ablehnen- eine Ambivalenz, die seine Haltung von jeher verkompliziert, denn der Christ ist in der Welt, aber doch nicht von der Welt, eigentlich daher auch nicht FÜR die Welt (sondern für die Weltüberwindung), obgleich er ja gleichzeitig zu Einlassung und Barmherzigkeit angehalten ist, um auf seine erwartete und erhoffte individuelle Erlösung hinzuarbeiten.
Der Materialist hingegen hat alles Geistige ganz verworfen und ist so nur noch mit einem halbierten Dualismus konfrontiert. Ihm bleibt alleine die Materie als dessen Torso, und diesen Torso erhebt er so zu Allem. Er proklamiert nun den Menschen als einzige Instanz zur Gestaltung der Natur, kann aber nicht erklären, woher dieser Gestaltungsimpetus seinen Ursprung nimmt und warum ein entsprechender Zweck hierzu überhaupt einst angelegt sein soll. Überhaupt hat er nur eine ganz vergröberte Sicht auf die Natur, die die fundamentalen Fragen der Ontologie im Zuge der Erkenntnisse der neuen Physik ganz negieren muß. Er pflegt ebenso wie der Theist einen naiven Realismus, allerdings mit noch größerer Trotzigkeit als jener, weil ihm nicht einmal der vageste Ausweg aus der grobstofflichen Seinsverortung bleibt, weil er die Erkenntnis über die Seinsgrundlagen als ganz zu Ende gedacht anzusehen hat, die Materie im Apriorischen ihm die letzte und höchste Instanz und Geist nur ein entsprechend physiologisch Hervorgegangenes des Materiellen ist.