Spinoza, Durchdringung und Entschleierung

Yrmiyahu   Yovel über Spinoza: “Dieses Innere zu verstehen ist keine unmittelbare mystische Offenbarung, sondern basiert auf diskursiver, mechanistischer Wissenschaft. Was ich unmittelbar bewußt als mein innerstes Selbst fühle, ist nur eine verzerrte Idee meines Körpers unter dem Einfluß äußerer Ursachen. Daher muß ich, um Selbsterkenntnis zu erlangen, nicht mein unmittelbares Selbstbewußtsein entwickeln, vielmehr muß ich es als eine Form der imaginatio gerade auschalten.Wahre Selbsterkenntnis beginnt mit Überwindung der Illusion reiner Subjektivität und der Objektivierung der cogito, indem man es dem Körper zurechnet und beide in die Kausalordnung der Natur als ganzes einbezieht. Um das zu tun, bedarf es einer mühevollen wissenschaftlichen Erforschung (meines Körpers, meines Bewußtseins, meiner Lage), bei der ich mich ‘von außen’ annähere, und zwar über die mechanistischen Naturgesetze und andere natürliche Entitäten, die mein Sein in der Welt determinieren. “
Mir kommt hier die Definiton von Religion durch Jiddu Krishnamurti in den Sinn, wonach Religion so viel bedeute, wie etwa die Gewahrwerdung der Totalität des Seins.  Es handelt sich bei der religiösen Anschauung und Ausübung keineswegs um eine Wegwendung vom Irdischen zum Transzendenten (schon gar nicht hin zu einer transzendenten Entität), sondern im Gegenteil um die Hinwendung und Durchmessung  des Immanenten  als einzige und ureigene Konstitution der  Ganzheit und somit also um eine  Teleologie  der Gewahrwerdung der eigentlichen inneren Wesenart des einzigen Seins  und der einzigen Wirklichkeit.  Indem Spinoza hierfür die Wissenschaft als an vorderster Stelle geeignet postuliert, betont er die  Wandlung oder Verwandlung im Rationalen – man könnte dies  in gewisser Weise als alchymisch bezeichnen   – da er die Substanz -die er als letztes und einziges Sein postuliert- in einem Erknenntnisprozeß transmutieren möchte –  nämlich von ihrer subjektiv-verstellten Ansicht hin zur Ansicht ihrer  eigentlichen entschleierten, einzig wahren und vernunft-kongruenten   Wesensart. Diese  Erkenntnis soll  im Gegensatz zu allen Glaubensbekenntnissen und allen Glaubenswahrheiten  stehen –  welche  nach ihm alle konsequenterweise nur als Aberglaube zu bezeichnen sind –   und den Menschen zur  eigentlichen Wirklichkeit seines Daseins  erheben, dies durch die Überwindung  subjektiv-konstruktivistischer Determinanten,  nicht in einem  dialektischen Prozeß der Explikation und Rückexplikation des Einen (wie bei Hegel) sondern in der reinen Erkenntnis und Durchdringung  des immerwährenden Einen, das mangels dieser Dialektik  prinzipiell aller  Transzendenz entbehrt und so vorerst ein absolut Abstraktes bleibt.