Fichte, Seele und Wesensgrund

Fichte: “Ich bin dir verwandt, und was ich rund um mich herum erblicke, ist Mir verwandt; es ist alles belebt und beseelt, und blickt aus hellen Geister-Augen mich an, und redet mit Geister-Tönen an mein Herz. Auf das mannigfaltigste zerteilt und getrennt schaue in allen Gestalten außer mir ich selbst mich wieder, und strahle mir aus ihnen entgegen, wie die Morgensonne in tausend Tautropfen mannigfaltig gebrochen sich selbst entgegen glänzt.
Dein Leben, wie es der Endliche zu fassen vermag, ist sich selbst schlechthin durch sich selbst bildendes, und darstellendes Wollen; dieses Leben fließt, – im Auge des Sterblichen mannigfach versinnlicht, – durch mich hindurch herab in die ganze unermeßliche Natur. Hier strömt es, als sich selbst schaffende und bildende Materie durch meine Adern und Muskeln hindurch, und setzt außer mir seine Fülle ab im Baume, in der Pflanze, im Grase. Ein zusammenhängender Strom, Tropfe an Tropfe, fließt das bildende Leben in allen Gestalten, und allenthalben, wohin ihm mein Auge zu folgen vermag; und blickt mich an, – aus jedem Punkte des Universums anders, – als dieselbe Kraft, durch die es in geheimem Dunkel meinen eigenen Körper bildet.

Dieses ewige Leben und Regen in allen Adern der sinnlichen, und geistigen Natur erblickt mein Auge durch das, was andern tote Masse scheint, hindurch; und siehet dieses Leben stets steigen und wachsen, und zum geistigern Ausdruck seiner selbst sich verklären. Das Universum ist mir nicht mehr jener in sich selbst zurücklaufende Zirkel, jenes unaufhörlich sich wiederholende Spiel, jenes Ungeheuer, das sich selbst verschlingt, um sich wieder zu gebären, wie es schon war: es ist vor meinem Blicke vergeistiget, und trägt das eigne Gepräge des Geistes; stetes Fortschreiten zum Vollkommenern in einer geraden Linie, die in die Unendlichkeit geht.”

Die Nähe zum neuplatonischen Denken läßt sich hier mit Volkmann-Schluck darlegen: “Die Seele ist Vielheit im Sinne der aus dem Ursprung hervorgegangenen Vielheit, produktive Wirksamkeit ihres Wesens: Lebendigkeit. Sie verdankt die Vielheit nicht einer Beihilfe von außen, durch die an ihr Unterschiede bewirkt würden, sondern der lebendigen Kraft des Sich selbst aus sich selbst Erwirkens, so daß sie das ganze und volle Sein der sich explizierenden Wesensmannigfaltigkeit ist. ‘Leben’ meint kein Prädikat eines Seienden, das an ihm selbst noch etwas anderes wäre als Leben, sondern die zentrale Seinsbestimmung des Wesens der Seele, die besagt: daß ihr Wesen schöpferischer Hervorgang aus ihrem Wesensgrund zur geeinten Gesamtheit ihrer Gestalten ist. Oder die Seele ist selbst nichts anderes als das Sein des Lebens, Einheit eines sich zu einem artikulierten Ganzen Entwickelnden, das ein in sich Geeintes bleibt.
Diese Selbstdifferenzierung ist in der Notwendigkeit der Selbstanschauung der Seele motiviert. Leben hat den reflexiven Charakter einer die Bewegung zum Vielen erfordernden Selbstanschauung, in der es allein das Sich-haben in einer geeinten Mannigfaltigkeit sein kann.”