Alles ist Psyche

C.G.Jung: ‘Die Art, wie ich die Komplexlehre darstelle, klingt wohl dem unvorbereiteten Ohr wie eine Schilderung primitiver Dämonologie und Tabupsychologie. Diese Eigentümlichkeit rührt einfach daher, daß die Existenz der Komplexe, also abgespaltener psychischer Fragmente, noch ein ganz merkliches Überbleibsel des primitiven Geisteszustandes ist. Letzterer ist von hochgradiger Dissoziierbarkeit, die sich zum Beispiel in der Tatsache ausdrückt, daß von Primitiven sehr häufig mehrere Seelen, in einem Fall sogar bis sechs, angenommen werden, und daneben gibt es erst noch eine Unzahl von Göttern und Geistern, von denen nicht bloß, wie bei uns, geredet wird, sondern es handelt sich öfters um sehr eindrucksvolle psychische Erfahrungen.’
Nun wird von schamanischer Warte und Erfahrung durchgehend darauf hingewiesen – oder vielmehr darauf bestanden, daß die Geistererfahrung durchaus real ist, was bedeutet, daß sie im Außen stattfindet, daß sie wie die Raumzeitlichkeit vornehmlich nicht intrinsischer psychischer Natur ist, sondern ihr im Vergleich zu dieser vielmehr gar gesteigerte Realität zukommt. Jungs Ansatz hingegen läßt u.U. kurzschließen, hier läge lediglich ein symbolhaftes Sehen vor. Tatsächlich aber verwehrte sich Jung selber gegen den latenten Anwurf, von ihm beschriebene Phänomene seien dadurch erklärt, daß man sage, sie seien ‘lediglich psychisch,’ indem er darauf verwies, daß letztlich ja ‘alles Psyche sei’. Ein Satz , der sicher höchste Kompatibilität mit dem neuplatonischen Diktum aufweisen kann, alles lebe und webe durch die Weltseele. Hier wäre anzufügen, daß das Gesehene aus sich selbst heraus gar keine Aussage über die eigene Realität oder den Wahrheitsgehalt ‘von Welt’ treffen kann .
Daß diese angenommene Wahrheit also in Abhängigkeit des seelisch feinstofflichen (Perzeptions-) Prozesses als variierbar und relativierbar erscheint, enthält zudem eine monistisch-doketistische Herleitung, die alles als Schein oder Abbild in sensorisch-reduktionistischer Lesart zum höchsten und einen Prinzip behandeln muß. Monistisches Denken birgt darüber also die Konsequenz der völligen Abstraktion (oder Bilderleere), wie sie etwa im Buddhismus als erstrebenswerter Zustand protegiert wird-, denn auch die Welt der Devas, Götter usw. ist Bild, und es erscheint nicht einmal als erstrebenswert, in die göttlichen Sphären zu (re-) inkarnieren. Abhängig vom Entheogen ist diese Erfahrung totaler Transzendenz zwar ebenfalls schamanisch induzierbar, spielt aber – wohl aufgrund der schwierigen Physiologie der Evozierbarkeit – eine sehr untergeordnete Rolle.
Meister Eckhart sagt: “Meine Äußere Erscheinung ist nicht meine Natur, sie ist vielmehr ein Abfall von meiner Natur, und unsere Seele ist weit darüber erhaben und ist in Gott verborgen. Ich sage nun denn nicht allein: über der Zeit, sondern in Gott verborgen. Bedeutet das der Himmel? Alles, was körperlich ist, das ist ein Abfall und ein Niederfall.”
Und Volkmann -Schluck über den Neuplatonismus: ” Die Seele, die bei ihrem Rückzug im Vollzug der Selbstbesinnung auf die in sich geeinigte Ganzheit des Nous blickt, darf nichts mitnehmen von Vorstellungen aus der zerstreuten Sinnessphäre, die zerstreuend ist. Erst im Geist wird der Bezirk erreicht, von dem aus das schlechthin ungegenständliche Sein des Einen zugänglich wird. Sein Innewerden zwingt zum Rückzug des Denkens aus der Vielheit seines Gedachten in eine neue Einheitsdimension von seinspezifischer Andersheit.”