Transzendente Funktion, C.G. Jung und Plotin

“…auch unsere Seele ist nicht gänzlich hinabgesunken, sondern immer bleibt ein Teil ihres Wesens in der geistigen Welt; nur hat meist, was in der Sinnenwelt weilt, die Oberhand. Richtiger: es wird selbst vergewaltigt von dem Wirrsal – und hindert so daß uns zu Bewußtsein kommt, was der obere Seelenanteil schaut. (Denn das geistige Leben tritt erst dann in uns ein, wenn es herabsteigt und in das Bewußtsein kommt. Wir wissen ja alles was in einem beliebigen Teil der Seele geschieht, erst dann wenn es in die ganze Seele eingeht; der Begierde zum Beispiel werden wir nicht inne, solange sie im begehrenden Seelenteil bleibt, sondern erst wenn wir sie erfassen mit dem inneren Wahrnehmungssinn oder dem Nachdenken oder beidem.) Denn alles, was Seele ist trägt in sich ein Stück, das unten zum Leibe hin, und eines, das oben zum Geiste hin liegt.”
Und dieses Herabsteigen des Geistigen kann in psychologischen Termini gerade auch umgekehrt benannt ein Heraufsteigen unbewußter eidetischer oder archetypischer Inhalte aus dem Unterbewußtsein bedeuten. C. G. Jung spricht hier von einem sehr verwandten Sachverhalt, den er die ‘transzendente Funktion’ nennt: Die Trennung zwischen Bewußtem und Unbewußtem soll aufgehoben, überwunden werden. In einem aktiven Prozeß soll es zu einem ganzheitlichen Ausgleich der Positionen kommen, wobei der unbewußten zumeist ein kompensatorischer Charakter zum Bewußten zugesprochen werden kann. In der Tiefe des Unbewußten aber hat der Mensch darüber hinaus Zugang zum geistigen Prinzip, zum Eidos. Mit zunehmender Gewahrwerdung (auch durch Intellektualisierung – bei Plotin: “dem Nachdenken” sowie durch Ästhetisierung als Objektivierung des plotinisch “inneren Wahrnehmungssinns”) kann der Mensch sich so seiner eigenen und eigentlichen Disposition angleichen.
Dieses komplettierende Seele-Sein verweilt jedoch nicht beim Ich, sondern nimmt seinem Wesen nach überpersonalen und intersubjektiven Charakter an – man könnte auch sagen, die Seele in ihrem hohen Sein wird sich selber bekannt. Hiervon kann das raumzeitliche Ich also nur gebrochen handeln, eher nähert es sich an in der Ahnung und im Fühlen. Dies birgt auch einen solipstistischen Aspekt, denn die Komplettierung hebt die Subjekt -Objekt Relation auf, um dann jedoch im Subjekt besprochen zu werden.

Auf die Wichtigkeit des Prinzips der Freiheit zur Hinleitung auf die Eigentlichkeit, die geistiger Natur ist, hat Fichte hingewiesen:
“Wird nur durch Freiheit die Quelle des ursprünglichen Lebens und seiner Fortbewegung aufgenommen in das Leben, so wächst die Klarheit, und mit ihr die Kraft, so lange das Leben dauert. Ein solches Leben lebt sich besser, die Schlacken der irdischen Abkunft fallen immer mehr ab, und es veredelt sich hierauf zum ewigen Leben und blüht ihm entgegen.”