Dialektischer Kreis

” ‘Ich schoß raketengleich wie ein Astronaut ohne Kapsel durch den Raum, mit riesiger Geschwindigkeit und sehr weit weg.
Vor mir erschien eine kleine Gruppe von Kreisen, einige davon strebten nach links. Rechts war nur ein dunkler Raum. Die Kreise waren schwarz und weiß und machten ein klickendes Geräusch, wenn sie von Schwarz nach Weiß umschlugen oder von Weiß nach Schwarz. Sie verhöhnten und folterten mich – wenn auch nicht gerade in übler Weise, sondern eher spöttisch und ganz mechanisch. Die Botschaft in ihrem Klicken war: Dein Leben hat niemals existiert. Die Welt hat niemals existiert. Du durftest dir das nur einbilden. Es war dein Machwerk. Es war niemals da. Hier ist nichts. Hier gab es niemals etwas. Das ist der Scherz – es war alles ein Scherz.’
Das Erlebnis hatte für die Frau noch ein Nachspiel. Sechs Jahre später blätterte sie in C.G.Jungs Buch ‘Der Mensch und seine Symbole’ und fand dort das Bild eines der Kreise. Sie warf das Buch in die Ecke. ‘Das war Terror! Es war die Bestätigung: Jemand anders wußte von den Kreisen. Es würde keine Möglichkeit mehr geben zu behaupten, sie seinen Einbildung. Es dauerte mehrere Jahre, bis ich begriff, daß dies die Kreise Yin/Yang der östlichen Tradition waren; ihr Klang betraf die schwarze und die weiße Seite, die immer in das Gegenteil umschlugen und wieder zurück.’ ” (Günter Ewald)

Nun bietet diese Begegnung vor allem eine Mitteilung über ein dialektisches Prinzip, das in seiner Dynamik und im Radius männlich/weiblicher (biologischer) Anziehung welterzeugenden wie welterhaltenden Charakter aufweist. Hierauf trifft die vedische Zuordnung nach der Qualität rajas zu: wir blicken hier ganz auf die Welt der Reizung, der Begierde, auch der Verwerfung, des Streites, der wechselvollen Gefühle usw.
Man kann für die genannte Symbolik auch folgende Beziehung herstellen: Der Kreis des Yin und Yang teilt sich in Purusha (als apriorische Seelenqualität, männlich/ die Urseele, der ewige, metaphysische Weltgeist, der unveränderlich ist) und Prakriti (als apriorische Natur -weiblich/ die ursprüngliche, nicht verursachte Ursache phänomenaler Existenz). Diese bringen in der Verbindung alles Kreatürliche hervor, somit selbstredend auch das Ich. Insofern ist dieses die Repräsentanz einer sich subjektivierenden – respektive der Gattung männlich/weiblichen – dialektischen Manifestation. Der Buddhist sagt hier, die Welt sei aus der Begierde hervorgegangen. Mit der Begierde einher geht der Eingang in das Leben, das Leid im Dasein, der Schmerz und Niedergang in der Endlichkeit.
Die eigentliche Essenz oben genannten Erlebens meint in diesem Kontext, daß diese Welterzeugung nur einem Trugbild dient und mit der Überwindung der körperlich gebundenen Qualität ‘rajas’ diesbezügliche Bildhaftigkeit und Endlichkeit zum Erliegen kommt.

C.G. Jung: “Das Leben als ein energetischer Prozeß bedarf der Gegensätze, ohne welche Energie bekanntlich unmöglich ist. … Die Gegensatzspannung, welche Energie ermöglicht, ist ein Weltgesetz, passend ausgedrückt durch das yang und yin der chinesischen Philosophie.”

Und C.G. Jung zum Kreis: “Das Bild des Kreises – der seit Platos Timaeus, der obersten Autorität der hermetischen Philosophie, als die vollkommenste Form angesehen wird, wurde auch der vollkommensten Substanz, dem Gold gegeben, ferner der anima mundi oder anima media natura, und dem erschaffenden Licht.”
Dieser Archetypus entspricht uraltem Menscheitsgebrauch seit dem Paläolithikum, wie etwa ersichtlich in Sonnenrädern, Mandalas oder Gotteserklärungen durch den Kreis.