Brechungen

Für den geistigen Menschen, Helmuth Plessner:
“Wer geistige Leistungen vollzieht, lebt auch in einem Strukturbruch, d.h. in einer Hiatusgesetztlichkeit.’ Personen sind aus der zentrischen Entsprechung von Organisation und Position herausgesetzt. Sie sind nur in einer exzentrischen Positionalitätsform möglich. Personen vollbringen insofern geistige Leistungen, als sie sich zu der zentrischen Korrelation mit ihrer Umwelt nochmals von außerhalb (ex-) des zentrischen Verhaltens, d.h. aus der Welt heraus, positionieren können. Von dort müssen sie aber als zentrische Lebewesen in eine zentrische Positionalität zurückkommen können.”
“Hieraus erwachsen drei Ambivalenzen: in natürlicher Künstlichkeit sich eine Außenwelt einrichten, sich zu unmittelbarem Verhalten vermittelt verhalten können,für die Verhaltensbildung in der Mitwelt einen utopischen Standort einnehmen, der zwischen Nichtigkeit und Transzendenz der Welt liegt.”

In seinem Buch der göttlichen Tröstung schreibt Meister Eckhart:
“Je vollkommener und reiner die Kräfte der Seele sind, umso vollkommener und umfassender nehmen sie das, was sie erfassen, auf und empfangen umso mehr und empfinden umso größere Wonne und werden umso mehr eins mit dem, was sie aufnehmen, und zwar in dem Maße, daß schließlich die oberste Kraft der Seele, die aller Dinge bloß ist und mit nichts etwas gemein hat, nicht weniger als Gott selbst in der Weite und Fülle seines Seins aufnimmt.”

Nun für den geistigen, charismatisch-spirituellen Menschen:

Für sein Umfeld, sein ‘Publikum’ der alltäglichen Lebenswelt scheint er nicht angepasst, vielmehr offensichtlich dissident, dabei aber auch im Positiven emergent, daher attraktiv, so daß er sich eine Maske zur Reduktion seiner Ausstrahlung (seiner Kraft) zu eigen zu machen hat. Er maskiert sich nicht um öffentlicher Funktionalität und Akzeptanz wegen, sondern um die Überbordung der Akzeptanz einzudämmen. Er reduziert sich, weil die Mitwelt in aller Regel nicht-geistigen (schon gar nicht seines-geistigen) Charakters ist. Monistisch heißt seine Verortung indes: Er ist im Geistigen sich selbst noch nicht genug bekannt, dies ja der Grund, daß er überhaupt in dieser Hiatuswelt mit ihren Brüchen von Geist und Sein, von Subjekt und Objekt inkarniert ist.
Und: Wird ihm nun nach dem Eckhardt‘schen Diktum dieses Außen zu eigen, muß er diesen Vorgang lebenspraktisch integrieren, somit das Außen bemessen, moderat und moderiert zu sich kommen lassen, denn dieses Außen nimmt lebensreell ja nicht einfach seinen Stand und seine Geistigkeit an, sondern fast alles kommt und drängt zu ihm noch in defizienter, deutlich unter ihm verorteter Art, und in der Aufnahme mehrheitlich des Niederen läge zwecks der Angleichung eine zu starke Minderung des erkennenden Aspektes. Dieser Gedanke allerdings birgt auch die Verantwortung zu Bekenntis und Scheidung, da gerade nur an der Marke der Scheidung Progression (und so numinose Einswerdung) möglich gemacht werden kann.
Über den Gedanken Plessners vom Hiatus des Einzelnen zum Außen hinausgehend wird es dem spirituellen Menschen dann zur Aufgabe, diesen Bruch von Geist und Profanität, aber auch von Eigensein als Ganzem und (nötiger) Distanz zum Äußeren im Zuge subtil zu heilen, nämlich (nun wieder monistisch gesprochen) durch gemäßes Zulassen des Vollzuges des Zu-Sich-Selber-Kommens. Die Außen-Aspekte sind vom geistigen Subjekt noch nicht in ihrer Defizienz durchdrungen und erfordern nun generell eine Aneignung in Offenheit und Achtsamkeit. Im Vedanta indes erfahren wir, daß für das Subjekt alles lediglich nur so lange Bestand hat, als dessen trügerischer Schein nicht ergründet ist. Der Hiatus des Spirituellen (im Subjekt) ist und ist zugleich nicht, wird daher derart erkannt und zugleich subtil aufgelöst, denn was zu sich selber kommt, bedarf zuletzt ja keiner Maske mehr. Der Hiatus heilt sich so im notwendigen (Selbst-)Vollzug selber, so ensteht ein ‘Hiatus im Hiatus’.
Und passend W.Solowjew in Bezugnahme auf Hegel: “Die in allem verborgene Kraft der absoluten Wahrheit sprengt die Begrenztheit der partiellen Bestimmungen, reißt sie aus ihrer Trägheit, zwingt sie, in ein Anderes überzugehen und in einer neuen, wahrhafteren und freieren Form zu sich zurückzukehren.”