Konservative Maximalanmaßung

Zuletzt den Satz eines konservativen Publizisten gelesen: “Am schlimmsten ist die Anmaßung”. Nun steht dies erst einmal isoliert und es mag nicht wenige Formen der Anmaßung geben, und daher läßt dies einen weiten Interpretationsraum. Auffällig jedoch ist, daß der Anwurf typischerweise aus dem konservativen Lager bemüht wird (nebenbei implizierend, selber wohl nicht irgendeiner Anmaßung verdächtig zu sein), um dabei üblicherweise ein Eigenvermögen, das sich in seiner Möglichkeit und Zielsetzung über die als präferiert betrachtete Ordnung der Dinge hinwegsetzen könnte, negativ zu konnotieren. In diesem Sinne handelt es sich also primär um eine rethorische Floskel. Eine kirchenkonservative Position, die kirchenkritische Ansichten abzuwehren gewillt ist, bemüht diesen Topos von der Eigenermächtigung bekanntermaßen gebetsmühlenartig. Zur These von der Selbstbemächtigung, der Hybris des von Gott entfremdeten Menschen seit Voltaire bis hin zu den Diktaturen des 20. Jahrhunderts (zu gerne außer Acht lassend, daß diese das christliche Heilsbegehr lediglich in eine säkulare chiliastische Form überführt haben) verhält man sich gerne in der Tradition des Augustinus, der jedwede Vernunft als Zuarbeiterin göttlicher Wahrheit verstanden wissen wollte. Die “göttliche Wahrheit” indes ist der Einfachheit halber von Gott persönlich offenbart und zeigt sich in der Bibel und in ihrer Vermittlung durch die Kirchenautorität. Nicht nur, daß man sich hier vorbehält, aus persönlicher Motivationslage (oft ist dies allerdings nur Bequemlichkeit oder Schwäche geschuldet) eine erkenntnistheoretisch geleitete Zielsetzung abzubiegen, deren Reräsentation ihren Niederschlag als prinzipielles Leitmotiv des europäisch/antiken geistigen Erbes findet, und so einen radikalen kulturellen wie metaphysischen Bruch mit dieser Tradition unterschreibt (die genannte Autorität verbot bei Todesandrohung alle Abweichung): offenbar hat man darüber hinaus gar nicht die Besonderheit der Eigen-Erhebung im Blick, wenn man davon kündet, quasi erwähltermassen auch noch in Besitz der einzig gültigen göttlichen Offenbarung zu sein und man gleichzeitig gerne bereit ist, Philosophie, Kunst und Wissenschaften – schlicht jedwede geistige Regung und Bewegung – dieser “Wahrheit” zu beugen und darüber bis heute diejenigen, die -traditionsreicher als das Christentum selbst- anderer Meinung sind, mit Verweigerung, Ridikulisierung, Unterstellung und Diskurs-Sabotage zu belegen. Welche Anmaßung könnte größer sein?