Über den Bildern

Carlos Castaneda: “(Don Juan Matus): Die alten Seher, so erklärte Don Juan, hätten anscheinend niemals erkannt, daß der menschliche Kokon ein Gefäß sei, und er den Angriffen der rollenden Kraft nicht ewig standhalten könne. Trotz all ihres Wissens, das sie ansammelten, seien sie am Ende gewiß in keiner besseren, vielleicht sogar in einer viel schlechteren Lage gewesen als der Durchschnittsmensch.
…Ihr immenses Wissen zwang sie, als selbstverständlich anzunehmen, daß ihre Entscheidungen unfehlbahr wären, sagte er. Also entschieden sie sich dafür, zu leben um jeden Preis.
Sie entschieden sich dafür, zu leben, genau wie sie sich dafür entschieden, Bäume zu werden, um Welten aus jenen beinah unerreichbaren großen Bändern zusammenzusetzen.

Sie benutzen die rollende Kraft, um ihren Montagepunkt in unvorstellbare Traumpositionen zu verschieben, statt ihn in den Schnabel des Adlers rollen zu lassen, um verschlungen zu werden.”

Don Juan sagte, daß abenteuerfreudige Menschen, vor die Wahl gestellt, in einer Welt des Alltags zu sterben, oder aber in jenen unbekannten Welten den Tod zu finden, unvermeidlich das letztere wählen würden und daß die neuen Seher, da sie erkannten, daß ihre Vorfahren lediglich den Schauplatz ihres Todes vertauschten, endlich die Vergeblichkeit all dessen eingesehen hätten: die Vergeblichkeit des Bemühens, ihre Mitmenschen zu beherrschen; die Vergeblichkeit des Zusammensetzens anderer Welten, und vor allem aber die Vergeblichkeit des Eigendünkels.
Eine der gücklichsten Entscheidungen dieser neuen Seher, sagte er, sei es gewesen, daß sie ihren Montagepunkt niemals für die Dauer in eine andere Position als jene der gesteigerten Bewußtheit verschoben hätten. Aus dieser Position sei es ihnen gelungen, das Dilemma der Vergeblichkeit zu überwinden und zu entdecken, daß die Lösung nicht einfach darin bestehe, sich andere Welten zum Sterben zu wählen, sondern in der Entscheidung für die absolute Bewußtheit, für die absolute Freiheit.
Indem sie sich für die absolute Freiheit entschieden, sagte Don Juan, setzten die neuen Seher, ohne es zu wollen, die Tradition ihrer Vorgänger fort und wurden so überhaupt zum Inbegriff derer, die dem Tode trotzten.

Die neuen Seher verbrennen an der Kraft der Ausrichtung, an der Kraft des Willens, den sie durch ein Leben der Makellosigkeit zu einer Kraft der Absicht entwickelt haben. Absicht ist die Ausrichtung aller bernsteinfarbenen Emanationen der Bewußtheit, und darum trifft es zu, wenn man sagt, daß absolute Freiheit zugleich absolute Bewußtheit ist.”

Hier aber entfaltet sich ein Weltbild, wie wir es gerade auch aus dem Buddhismus kennen. Dort wird der sich fortsetzende, änderbare energetische Abgriff zum Bild (=Welt=Inkarnation) zur Wiedergeburt. Die Geburt in unsere oder andere Welten, sowie auch die Wiedergeburt in andere ‘überweltliche’ Bereiche, etwa der Götter, gelten letztlich allesamt als überwindenswert, weil sie ausnahmelos dem ähnlichen Truge und so der ontischen Minderung, der Sterblichkeit unterliegen. Nur die reine Bewußtheit in Ganzheit soll das Ziel sein, im Ausgang einer immerwährenden totalen Glückseligkeit, die nach keinerlei Manifestation mehr verlangt. Meister Eckhart sagt: “… kein Bild öffnet uns die Gottheit noch sein Sein. Denn bliebe irgendein Bild … in dir, so würdest du niemals eins mit Gott.” Und: “Im Sohn werden die Bilder – insofern der Sohn dem Vater gleich ist – wieder in den Vater, aus dem sie geflossen sind, zurückgetragen.”