Die Seele als Erschaffer

Plotin: “So bedenke, denn also erstlich jede Seele dies, daß sie selbst es ist die alle Lebewesen geschaffen hat und ihnen Leben einhauchte, welche die Erde nährt und welche das Meer, die in der Luft sind und die göttlichen Gestirne am Himmel, daß sie die Sonne und sie unsern gewaltigen Kosmos geschaffen hat.”
Wie aber kann man sich in so unerhörtem Maße aufschwingen, sich angesichts der unfassbaren Größe und Komplexität aller Einzeldinge und des gesamten Weltalls in nur irgendeiner Weise als dessen Schöpfer verstehen? Dies geschieht nur in einem Verständnis von Welt-Sein als konstruierter und in Relation zum eigentlichen Sein scheinhafter Existenzart,  die zuletzt immer nur als den Sinnen a posteriori zu verstehen ist.  Die eigentliche Majestät des Anschaulichen (der Welt also) -dem Menschen innerhalb seiner Raumzeitlichkeit nicht vorstellbar- liegt aber in dessen geistig-apriorischer  Disposition. Und hieran hat die Seele konstituierenden (Seins-) Anteil – daher steht sie über der Welt und ist noch weit unfassbarer oder ausgedehnter als diese.  (Die Wissenschaftstheorie spricht von dem Menschen als Teil der natura naturans.)
Es braucht  nur ein Verschieben des Blickwinkels, und die Welt wäre bei all ihrer Größe ganz entschwunden und eine andere Welt tauchte auf, und diese neue Welt wäre ebenso komplex, und neben ihr würde bereits die nächste entstehen  und immer so fort.  Oder man transzendiert dieses Weltverständnis  und steigt auf zu einer höheren Dimensionaliät, die eine höherrangige Welt darstellt (aber doch noch im Bildlichen verweilt).
Agrippa von Nettesheim sagt: “Die Seele eines Menschen ist zudem in der Lage, sich durch Selbsterkenntnis bis Gott zu erheben, dies entspricht dem natürlichen Bestreben (appetitus naturalis) der Menschenseele, sich mit Gott zu vereinigen. Dieses natürliche Streben kann durch Räucherungen, Gebete oder eine diätetische Lebensführung unterstützt werden. Löst sich die Seele vom Körper und überwindet so die Materie, vermag sie über Mikro-und Makrokosmos zu herrschen.”
Und der Upanischad: “Dies mein Ich in meinem Herzen ist größer als die Erde, ist größer als der Luftraum, ist größer als der Himmel, ist größer als alle diese Welten.”
Meister Eckhart: “Wenn der Geist diese Gewalt (der väterlichen Herrscherkraft) …empfängt, so wird er selbst gewaltig in jedem Fortgang…daß alles, was Gott in der Zeit geschaffen hat … er machtvoll darin stehen bleibt wie in einer göttlichen Kraft, der gegenüber alle Dinge klein und unvermögend sind.”
Wenn schließlich Blaise Pascal sagt: “All unsere Würde besteht also im Denken. Von hier aus müssen wir uns erheben, und nicht vom Raum und der Zeitdauer aus, die wir nicht auszufüllen vermögen.”, dann ist dieser Satz auch in einer Begrifflichkeit verstehbar, die “Denken” als Ermächtigung zum höheren Ich und Sein, als physikalisch- vitalen Vollzug zu feinstofflicherer Existenz versteht, die Raum und Zeit nicht mehr bekümmert.

Und im weiteren Kontext folgende Anfügung:
Eine Hauptimplikation der Quantenphysik: Die Welt ist ein quantifiziertes Feld. Dem Feld kommt die eigentliche Existenz zu. Der Welt jedoch nicht. Die Quantelung geschieht im Beobachter und generiert “Welt”. Die indischen Veden wußten hierum: Die Welt ist MAYA, das Quantenfeld ist PRAKRITI. Die Verursachung hingegen PURUSHA, Schopenhauers “Wille”, Plotins Licht, das sich im eigenen Licht beschaut und berührt.
Insofern ist das gesamte Sein durchaus auch als ein einziger riesiger Solipsismus begreifbar, in dem aber nicht das eigene Ego-Ich alles umschließt, sondern in dem die Summierung jeder Ichheit das umschließende eigentliche Ich konstituiert. Auch dieses Ich ist den Veden bekannt, es heißt dort MAHAT (das Große) oder auch ATMAN, bei Plotin wiederum als die Weltseele bezeichnet (in seiner zum Materiellen zugewandten Verfasstheit [also in seinem Schauen-und daher alles betreffend, was wahrnimmt]) als die untere Hervorbringung des Nous (des Geistigen) verstehbar.
(Zusatz: Und diese Ontologie-und definitiv nur diese allein- bezeichnet gleichzeitig die Genese jeder brauchbaren Ethik.)