Theodizee und Läuterung

Eine Möglichkeit, den Schwierigkeiten der Theodizee zu entrinnen kann nur -und dies wurde wiederholt als absurd oder gar unethisch bezeichnet- darin bestehen, das Leid als solches in seiner Subjektivität und so in seinem illusorischen Charakter zu erfassen.
Dies gelingt freilich nur von einer idealistischen Position aus. Demnach könnte man die Frage nach dem Leid so auflösen, daß Leid gar nicht außerhalb eines konstruktivistischen Rahmens existent ist, was zwar angesichts der Immanenz des Schmerzes und all der weltlichen  Abgründe vielen wie ein Hohn vorkommen muß – und doch sprechen wir ja von Leid als Hervorbringung im subjektiven  und raumzeitlichen Lebens- und Empfindungsradius  eines Menschen, somit meint Leid eigentlich  – umfassender betrachtet – eine  Desintegration der eigentlichen transzendenten Persönlichkeit. Das stärkste Leid, das Leid letztlich zum Tod,  erfährt folgerichtig im Sterbevorgang bereits  seine Transmutation und so sein augenblickliches Ende, das Leid ist nun derart relativiert, daß es mit der Aufgabe jedes Interesses an der sterblichen Existenzform gar die Rolle des Beschleunigers des neuen und höheren (glücklicheren) Zustandes einnimmt (hier auch liegt der Grund der Praxis für Folter- oder Marterrituale, da sie die Schwelle zum Tod möglichst lange hinauszögern sollen, den Punkt des höchsten Schmerzes  manifestieren, indem die Ablösung, oder man kann sagen, der Triumph der transformierenden Seele vorübergehend verhindert wird).
Im  Konzept der Reinkarnationen ist Leiden darüber hinaus als solches sinnerfüllt und zweckgerichtet, weil zum einen als natürliche Folge eigener Tat (karma), also selbst hervorgebracht, und zum zweiten als Möglichkeit zu Läuterung -also zur Lösung von  Karma – dienlich. Der Buddhist spricht von einer großen Ausgewogenheit in einem Zustand, in dem alles – gut und schlecht, Friede und Verzweiflung-leer ist von wahrer Identität. Die Theosophie schließt sich dieser überdialektischen Sicht  an und versteht das Leiden als spirituelles Exerzitium: “Unser größter Freund, unser edelster Reiniger von allen ist Leid, ist Schmerz; denn Herz und Verstand müssen durch Schmerz geläutert werden, genauso, wie Gold in Feuer geläutert wird.”
“Preise den karmischen Anstoß und fürchte ihn nicht.”
Und: “Erinnere dich, es ist nur das Endliche, was leidet.” (De Purucker) Auch hier: Das Endliche als solches ist Leiden, und als Endliches eigentlich “leer”.
Auch für den neuplatonisierenden Kirchenvater  Dionysius Areopagita ist das Übel ebenfalls gar nicht in autonomer  Form existent, sondern untergeordneter Teil eines dialektischen Plans,  “da  es sonst für sich selbst ein Übel wäre. Und wenn dem nicht so ist, so ist das Übel nicht in jeder Beziehung ein Übel, sondern hat -geheimnisvollerweise- einen Anteil am Guten, wodurch es überhaupt existiert”. Und: “Das Gute ist Ausgang und Endpunkt auch aller Übel, denn um des Guten willen ist alles, was gut ist und was ihm entgegengesetzt ist, denn auch dieses tun wir nur, weil wir nach dem Guten verlangen.”
Und doch bleibt der Mensch hier zunächst unerfüllt zurück, gerade auch, weil die Auflösung dieser Dialektik jenseits seines raumzeitlichen Erlebenishorizontes verortet ist und somit der Sinn und der Trost für ihn unvollziehbar entrückt erscheinen.  Das Übel, bzw. dessen erster Grund bleibt dabei auch durchaus philosophisch das eigentliche malum metaphysicum , denn ohne weiteres  ist ja der Gedanke fassbar, daß ein Höchstes  und Gutes völlig außerhalb antrophomorpher Vorstellungen -wie  Läuterung und Lernprozess –  residieren könnte, dies  nach unserer Vorstellung seinem Wesen gar eigentlich viel eher zukäme. Besonders in dem Maß, wie man das Subjektive aus dem Radius der monistischen, selbst verursachenden Desintegration in eine theistische  Mensch-Gott  Beziehung stellen mag, bleibt die Theodizee – wenn man so sagen will – der Huf des Teufels im Beet des Theologen.