Die Ideenlehre: “Sie sollte ganz aus der Selbstbeobachtung des Denkens bei seiner inneren Bewegung hervorgehen: Dabei wird entdeckt, daß das Denken über Begriffe weiterschreitet wie der Fußgänger im Regen über Trittsteine auf einem sumpfigen Weg…
Die Wendung des Geistes (nous) zu sich selbst entsprang der Idee der Ideen mitsamt ihren intellekttheoretischen und ontologischen Folgen.” (Peter Sloterdijk)
Prinzipiell ein monistisches Bild: Diese Wendung des nous entsprang zuvorderst als eine in sich selbst angelegte Notwendigkeit. Sloterdijk stellt hier eine Referenz aus Platons Phaidros her, der Konstitution des Philosophischen aus “der nüchternen Begeisterung durch Teilhabe am Eigenleben der Idee.” Diese Wortwahl scheint mir schon auf eine erhobene oder erhabene Perspektive zu verweisen, sie zeugt von weit mehr als nur ichhafter Begehr nach Wissen als ‘persönlichem Pläsier’, ist eben weit anders grundiert als nur ein individueller Vollzug. In der Konsequenz stoßen wir dann auf das überindividuelle Momentum, wie Volkmann-Schluck es für den Neuplatonismus benennt: “Nur wenn der Schauende sich nicht reflexiv auf sich selbst zurückwendet, kommt das Schauen zur Erfüllung. Solange es noch selbstständig dem Geschauten gegenübersteht, hat das Schauen sein Selbst noch außer sich.”
Somit: Alles ist Selbstvollzug des Einen, ist sein “Eigenleben” (in den Kaleidoskopen denkender Entität)!
Und weiter Sloterdijk: “Seit je schaut man irgendwie hinauf – den guten Willen zur Erhebung kann man den Alten nicht absprechen. Doch was ‘oben’ bedeutet, hat noch keiner verstanden, und wie das Innen an ihm andockt, ist bisher niemandem klargeworden.”
Was ‘oben’ bedeutet ist indes Sache des Sehens (der Schau), mit dem das Denken erst in Deckung kommen soll. Man kann hier auch sagen: Denken muß Sein werden, soll auf diesem Weg Seinszuwachs bedingen. Denken wird Verstehen und Sehen wird Schauen und Erkennen.
Das (intellektbedingte) Entdecken, das ist zwar dem deduktiven Weg aus innerer Anlage und Verbindung zur Gesetzlichkeit des Höheren geschuldet- in der Mathematik wird dieser deduktive Prozess besonders anschaulich-, was Platons Philosophie – wie im Höhlengleichnis vermittelt – aber eigentlich künden will ist inspiriert, ja konkret angestoßen durch die Kolportage einer urreligiösen Empirie als einem Wissen um eine andere, viel umfassendere Welterfahrung (später bei Plotin wird diese – folgt man Porhpyr– zur leibhaften Teilhabe des Philosophen). Und von solcher Stufe geht es um weit mehr als nur um theoretisches Wissen, es kommt viel eher zu einer gelebten Philosophie, die sich um transzendente und transzendierende Aspekte rankend dann auch Spiritualität nennen kann. Sloterdijk erwähnt in seiner Reflexion über Religion und Offenbarung die Arbeit Eliades, um allgemein auf Verursachungen im Urreligiösen schamanischer Gesellschaften hinzuweisen. Mein Zusatz: Gerade Platon bewahrt in der pythagoreischen und ägyptischen initiatorischen Nachfolge diesen ältesten Kern, denn – diese Aussage umgeht Sloterdijk – es ist das schamanische Entheogen, die Ermöglichung der (im Sinne des Wortes) unmittelbaren Erfahrung eines erweiterten Konfigurationsraumes unserer “Realität”, die durch diesen Aufschluss die Hiesigkeit entsprechend als Seinszustand der Minderung einordnen muß (wie schon übernommen in der Orphik oder bei Empedokles – man lese nur seine Einlassung zur Geburt: “Und ich weinet und schrie, da ich sah den unheimlichen Wohnsitz.”). Aus dieser entheogenen Verursachung aber entsteht zuvorderst die charismatische Sozietät und bald die Übersetzung in Kult, Symbol und Institution, was nahezu ein Synonym für unseren heutigen Begriff von Religion meint- ein Modell dabei sukzessiver Entfernung und Entfremdung. Die Philosophie begeht in diesem Kontext zuletzt qua der geistigen Teilhabe den reflexiven Nachvollzug als eine Notwendigkeit des Telos der Rückkehr zum Ursprung, der die Totalität des Geistes und seiner Erfahrungsmöglichkeiten ist (Hegels Weltaufzug). Lernen ist Erinnern.
‘Denken’ meint in solchen Zusammenhängen als ein Zu-Sich-Kommen des Einen dann ein In-Sich-Hineinbringen ontischer höhererrangiger Seinsgehalte durch progressives Erschließen eines potentiellen Erkenntnisraumes (der wesenhaft Information ist) in den eigenen Erkenntnisraum hinein, so daß man darin verändert lebt (etwa auch wie man in einem großen Haus durchaus anders lebt als in einem kleinen.) Hier ließe sich eine Wortprägung Sloterdijks vom “Steigerungsraum” heranziehen.
Und nun aber viel weiter noch: Denken soll als feinstoffliche Tätigkeit aufgefasst sein, ändert im Gegenwärtigen die Welt (-wahrnehmung) des Denkenden und ist ebenso im Überweltlichen wirksam, erschließt beide Bereiche zu einem Kontinuum. Fichte sagt: “Ich bin und lebe schon jetzt in der überirdischen Welt, weit wahrer, als in der irdischen.” Durch die perzeptorisch-konstruktivistische Hemmung muß dieses Leben vorerst ein Ahnen und Spüren und subtiles Merken bleiben (doch stellen sich hier Synchronizitäten, Präkognitionen und ähnliches als Wirkmechanismen eines raumzeittranszendierendes Vollzuges ein).
Und schließlich wird “Denken”als Tätigsein subtilster Form kongruent mit der Integrität tiefsten Seins werden, denn “das Denken ist das Wirklichsein des Noeton, dessen, worauf der Nous gerichtet ist und an dem er seine Intentionserfüllung findet.” (Volkmann Schluck)