Der Schlüssel zum eleusinischen Mysterium

Erwin Rohde: “Von den einzelnen Vorgängen und Handlungen bei dem langgedehnten Feste kennen wir kaum das Äußerlichste, und auch dies nur sehr unvollständig. Das Mysterium war eine dramatische Handlung, genauer ein religiöser Pantomismus, begleitet von heiligen Gesängen und formelhaften Sprüchen. Dies wäre an sich nichts Singuläres; eine derartige dramatische Vergegenwärtigung der Göttererlebnisse…war eine sehr verbreitete Art griechischer Kultübung. Aber von allen ähnlichen Begehungen … unterschied das eleusinische Fest sich durch die Hoffnungen, die es dem an ihm Geweihten eröffnete. Nach dem Hymnus auf Demeter, hörten wir, darf der fromme Verehrer der Göttinen von Eleusis hoffen auf Reichtum im Leben und besseres Los nach dem Tode. …Weit nachdrücklicher wird uns aber, von Pindar und Sophokles an, von zahlreichen Zeugen verkündet, wie nur die, welche in diese Geheimnissse eingeweiht seien, frohe Hoffnungen für das Leben im Jenseits haben dürfen. Diese Verheißungen einer seligen Unsterblichkeit sind es gewesen, die durch die Jahrhunderte so viele Teilnehmer zu dem eleusinischen Feste zogen; nirgends so bestimmt, so glaubhaft verbürgt konnten sie gewonnen werden. Die Forderung der Geheimhaltung der Mysterien, die sich offenbar auf ganz andere Dinge richtete, kann sich nicht auf diesen zu erhoffenden höchsten Ertrag der Weihe zu Eleusis bezogen haben. Jeder redet laut und unbefangen davon, zugleich aber lauten alle Aussagen so bestimmt und stimmen so völlig und ohne Andeutung irgendeines Zweifels miteinander überein, daß man annehmen muß, aus den geheimgehaltenen Begehungen habe sich für die Gläubigen diese Verheißung nicht als Ahnung oder Vermutung des Einzelnen , sondern als festes, aller Deutung enthobenes Ereignis herausgestellt.”
Hierzu  dann  folgende Anmerkung von Hans Eckstein: “Wie das bewirkt wurde, ist freilich rätselhaft….Irgendwie muß nun den Mysten der eigentliche Sinn der ‘natursymbolischen’, mystisch eingekleideten Handlungen zu verstehen gegeben worden sein.”
Eckstein fährt nun fort bezüglich  der Fragwürdigkeit einer sinnbildlichen Vermummung und der Vorgänge in der Natur unter der Hülle menschenähnlicher Gottheiten – gemeint ist eine natursymbolische Handlung mit Demeter und Persephone, wobei Persephone als Saatkorn symbolisiert wäre und den jährlichen Untergang und die Erneuerung versinnbildlicht- und sagt: “Ich wüßte aber nicht, daß man die Griechen so leicht mit nebelhaften Ahnungen von dem Wege logischer Klarheit habe ablocken und damit gar noch besonders beseligen können.”
Nun H. S. Anton in seiner eigenen Abhandlung über die eleusinischen Mysterien: “Bevor Demeter jedoch den duftigen Tempel, den sie ein Jahr bwohnt hatte, verließ, lehrte sie die Herrscher von Eleusis und alle Gebräuche und sandte den Triptolemus, der den Pflug erfand, aus, daß er auf einem geflügelten Schlangenwagen über die Erde fahre, die Frucht der Demeter, das Samenkorn des Getreides verbreite und die Menschen mildere Sitten lehre. So hinerließ Demeter dem Lande, wo sie freundlich aufgenommen war, den Ackerbau und der Weihen hohes Geheimnis.”
Und zur Mystenfeier, dem zweiten  Grad der Weihe: “Dann erschien die Priesterin der Demeter und Kore (Persephone) und bot ihnen mit der Daduchin vor der versammelten Gemeinde den Kykeon = den Mischtrank, wie er, aus Gerstenmehl und Polei (mentha pulegium) bereitet wurde.”

HIER also kommt man endlich dem Grunde der Sache – wenn auch offenbar unbewußt- einen entscheidenden Schritt näher. Rohde, Eckstein und Anton können – bei all ihrer Gelehrsamkeit und Folgerichtigkeit –  durch diese Tür nicht gehen, weil sie den Schlüssel zum Verständnis nicht in der Hand halten! Natürlich muß  ihnen “rätselhaft” bleiben, wie die eleusinische Verheißung als “festes, aller Deutung enthobenes Ereignis” herausgestellt werden konnte. Die Erklärung hierfür ist nämlich alleine in dem urreligiösen Schema -der grundspirituellen (physisch)  induzierten Empirie – zu suchen, der Erfahrung einer ganz anderen, ontologisch verschiedenen und gehobenen Welt, die von allen Probanden intersubjektiv begehbar ist, die, real, existent, existenter sogar als die gewohnte Umgebung der Raumzeit erscheint.
Wir finden in der theosophischen Sicht Schures eine  in diesem Sinne sehr weiterführende Erhellung des eleusinischen Szenarios:
“Mit einer Gebärde, die keinen Widerspruch duldete, zwang ein phrygischer Priester die Ankömmlinge, beim Eingang sich niederzulassen und warf in den Kessel große Bündel von narkotischen Essenzen. Alsbald füllten dichte Rauchwolken den Saal und man erkannte in einem wirren Durcheinander wechselnde Formen, sowohl tierische, als auch menschliche: Manchmal waren es Schlangen, die sich zu Sirenen ausdehnten und in nichtendende Knäuel verwickelten; manchmal verwandelten sich Büsten von Nymphen mit wollüstig ausgebreiteten Armen in Fledermäuse, Köpfe reizender Jünglinge in Hundeschnauzen.” (An dieser Stelle auch Plutarch: “…daß die Dämonen in den Mysterien eine Rolle spielen, er dürfe jedoch nicht davon reden.”) “Und alle diese Ungeheuer, bald schön, bald gräßlich, luftartig, täuschend, wirklichkeitsfremd, ebenso schnell verschwindend wie auftauchend, wirbelten, schillerten, erregten Schwindel, umringten die erstarrten Mysten, wie um ihnen den Weg zu versperren. Manchmal streckte der Priester Kybeles seinen kurzen Stab durch die Nebelmassen und der Strom seines Willens schien dem vielgestaltigen Bilde selbsteigene Bewegung und inneres kraftvolles Leben zu geben.”
Und: “Soll man Plato, Jamblichus,  Proklus und allen alexandrinischen Philosophen glauben, so hatte die Elite der Eingeweihten im Innern des Tempels Visionen von ekstatischer und wunderbarer Art.”
“Ein ungekanntes Glück, ein übermenschlicher Friede erfüllte dann die Herzen der Eingeweihten. Das Leben schien überwunden, die Seele erlöst, der furchtbare Zyklus des Daseins vollendet. Alle fanden sich wieder voll lichter Freude, voll unsagbarer Sicherheit in dem reinen Äther der Weltenseele.”

In diese Richtung  (zum Kykeon) weiterführend auch Wikipedia “Man hat aber Vermutungen über weitere Bestandteile des in Eleusis getrunkenen Kykeon angestellt, da übereinstimmend von einer überwältigenden Erleuchtungserfahrung berichtet wurde, die sich zuverlässig bei allen Teilnehmern der Mysterien eingestellt hätte. Daher wurde die Theorie diskutiert, dass die Visionen eine Drogenwirkung gewesen seien, die durch dem LSD verwandte, im Mutterkorn-Pilz enthaltene Stoffe (Ergin und Ergometrin) verursacht worden sei. Auch andere Pflanzen und entsprechend andere entheogene Substanzen wurden diskutiert.”

Bereits die Poleo-Minze übrigens wird von G. Samorini in seinem Werk über in der Antike besprochene Rauschmittel als psychoaktiv angegeben!