Erworbenes und Adaptiertes

Arthur Schopenhauer:
“Wenn man auch bisweilen eine Wahrheit, eine Einsicht, die man …durch eigenes Denken und Kombinieren herausgebracht hat, hätte mit Bequemlichkeit in einem Buche ganz fertig vorfinden können: so ist sie doch hundertmal mehr wert, wenn man sie durch eigenes Denken erlangt hat. Denn nur alsdann tritt sie als integrierender Teil, als lebendiges Glied, ein in das System unserer Gedanken und steht mit demselben in vollkommenem und festem Zusammenhange, wird mit allen Gründen und ihren Folgen verstanden, trägt die Farbe, den Farbton, das Gepräge unserer ganzen Denkweise, ist eben zur rechten Zeit, als das Bedürfnis derselben rege war, gekommen, sitzt dabei fest und kann nicht wieder verschwinden.Demnach findet hier Goethes Vers

“Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen!”

seine vollkommene Anwendung, ja, Erklärung. Der Selbstdenker nämlich lernt die Autoritäten für seine Meinungen erst hinterher kennen, wo sie ihm dann bloß zur Bekräftigung derselben und zu eigener Stärkung diene; während der Bücherphilosoph von ihnen ausgeht, indem er aus fremden zusammengelesenen Meinungen sich ein Ganzes konstruiert, welches alsdann einem aus fremdem Stoff zusammengesetzen Automaten gleicht, jenes andere hingegen einem lebenden erzeugten Menschen. Denn gleich diesem ist es entstanden, indem die Außenwelt den denkenden Geist befruchtete, der danach es austrug und gebahr.
Die bloß erlernte Wahrheit klebt uns nur an, wie ein angesetztes Glied, ein falscher Zahn, eine wächserne Nase, die durch eigenes Denken erworbene aber gleicht dem natürlichen Gliede; sie allein gehört uns wirklich an. Darauf beruht der Unterschied zwischen dem Denker und dem bloßen Gelehrten. Daher sieht der geistige Erwerb des Selbstdenkens aus wie ein schönes Gemälde, das lebendig hervortritt, mit richtigem Licht und Schatten, gehaltenem Ton, vollkommener Harmonie und Farben. Hingegen gleicht der geistige Erwerb des bloßen Gelehrten einer großen Palette, voll bunter Farben, allenfalls systematisch geordnet, aber ohne Harmonie, Zusammenhang und Bedeutung.”

Zusatz: Und nach meiner Erfahrung  existiert gar eine besondere Spezies, die hierzu- eigentlich  unerklärlicherweise-, eventuell aus schlichter Bequemlichkeit, diese gepaart mit einem Hang zur Anmaßung, das Uneigene und Fremdadaptiere, das ohne eigene Durchdringung oder wirkliche Leidenschaft Versehene und nicht einmal Verstandene , trotzdem meint, in Besitz nehmen oder halten zu müssen.
Jesus sagte: “Wehe den Pharisäern! Sie gleichen einem Hunde, der auf der Futterkrippe für Ochsen liegt. Denn weder frißt er noch läßt er die Rinder fressen.”(Thomasevangelium, Logion 102)