Ein gelehrter Satz aus katholischer Stossrichtung: “die göttliche Wahrheit durchdringen… Die richtige mathematische Analogie ist in diesem Zusammenhang nicht die Asymptote, die sich der Geraden immer weiter nähert, ohne diese je zu berühren, sondern das Polygon, das in einem Kreis eingeschlossen ist. Wir sind immer schon in der ganzen Wahrheit, wie bereits das Dreieck immer schon ganz vom Kreis eingeschlossen wird.” “Wir sind immer schon in der ganzen Wahrheit” – Dies entspricht exakt meiner Ansicht bzw. Überzeugung. Man kann hier diesen Satz von Kant danebenstellen: “Weil in Gott alles Realität ist, mit dieser aber nichts in größerer Harmonie ist, als worin selbst eine größere Realität anzutreffen, so muß die größeste Realität, die einer Welt zukommen kann, in keiner als der gegenwärtigen befindlich sein.” Die Vergegenwärtigung dieser “größesten Realität” (also die Durchdringung des als bruchstückhaft/reduziert/gefallen Wahrgenommenen) kann aber nur durch einen fortwährenden Erkenntnis-Akt vollführt werden. Eben durch vom Subjekt(iven) ausgehende Vergewisserung und Erweiterung des Subjektiven (Ich, Umgebung, Natur, Erde, Kosmos, Sein allgemein) zum objektivierten totalen eigentlich Seienden, – in dem wir uns eben bereits befinden- zeit-und ortlos, entsprechend der Qualität der eigentlichen Realität. Ich kann aber nach wie vor überhaupt nicht sehen, wo gerade die christliche Lehre, die den Glauben (nicht das Erkennen), das Geführt -Werden, die Demut, ja Unterwerfung unter die Gnade und Bereitschaft zu Erlösung durch ein noch über dieser natürlichen (eigentlich ja einzigen) Ordnung stehenden Agens “Gott” proklamiert, diesen eigenverantwortlichen Erkenntnisakt, der vom Selbst ausgehend zur Selbstvergegenwärtigung des Letzten fortschreiten soll, in irgendeiner Art postuliert. Im Gegenteil sehe ich gerade durch christliche Offenbarung, Bibeltext, kirchliches Dogma und Glaubenspraxis (Ritus) Verhaftung im Uneigentlichen und nach Menschen-Belang ausgerichtete Ausschmückung, die den wirklichen Zusammenhang zum Unmittelbaren (im Sinne des Wortes!) verstellt. Vielleicht kann man in diesem Kontext auch kurz Hegel heranziehen: (aus Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie) Er sagt da: “Wir stehen hier im Christentum. Vom Christentum aus hat sich die Philosophie wiederherzustellen. Im Heidentum war die Wurzel des Erkennens die äußere und subjektive Natur: das Selbst, dann dieses als selbstloses Denken. Die Natur hat positive, affirmative Bedeutung gehabt, ebenso das innere, natürliche Selbst des Menschen, ebenso das Denken; alles dieses war daher gut. Die Wurzel der Wahrheit im Christentum hat ganz anderen Sinn; es war nicht nur Wahrheit gegen die Götter, sondern auch gegen die Philosophie, gegen die Natur, gegen das unmittelbare Bewußtsein des Menschen. Die Natur ist da nicht mehr gut, nur ein Negatives; das Selbstbewußtsein, Denken des Menschen, sein reines Selbst, alles dieses erhält eine negative Stellung in dem Christentum. Das Selbst soll aufgehoben werden, es ist unmittelbare Gewißheit; die Natur hat keine Gültigkeit, Interesse. Himmel, Sonne, die Natur ist Leichnam.” Die Natur aber ist ja eben kein Leichnam, sondern Emanation der höchsten Realität, zwar ist sie durch die menschlich- perzeptive Begrenzung subjektiv verstellt (vergleiche im Hinduismus die Maya -Konzeption oder die Dimensionenmodelle der Stringtheorie der Quantenphysik) aber eben zuletzt durch Durchdringung/durch Rationalisierung vom Subjekt aus erfahrbar.
Neben dem Begriff der Rationalisierung muß zur Durchdringung auch die Erfahrung der Unmittelbarkeit, also die mystische Erfahrung herangezogen werden -oder besser: Die Mystifizierung des Erfahrbaren, die Erkenntnis-Teilhabe am Mysterium des Unbenannten. Mysterium und Ratio schließen sich gar nicht aus, sondern die gesteigerte Erfahr-Fähigkeit füllt das Mysterium im Gegenteil aus und belebt dies erst. Dies führt nicht zur Entzauberung oder Profanisierung, sondern zum Leben des Mysteriums. Von christlicher offizieller Warte ist dieser Anspruch meiner Meinung nach nicht artikulierbar, denn ich sehe ebendort einen unlösbaren Widerspruch zwischen dem Proklamat nach Durchdringung einer “inhärenten” göttlichen Wahrheit und einem objektivierten (entrückten) christlichen Gott, zwischen mit einer Durchdringung zwingend einhergehenden (freilich relativierenden) Subjekt-und Naturbejahung und christlicher Weltverneinung, zwischen Unmittelbarkeit der Göttlichkeit, die prinzipiell genau gar nichts (als dem Selbst) bedarf und irreführendem, falsch verhaftetem dogmatischem Ballast und Regelwerk der Kirche. Hier leite ich meinen eigentlichen Vorwurf an die christliche Lehre her. Nicht die historische Verfehlung (auch die), aber zuallererst die spirituelle Verfehlung bildet meinen Anwurf: Die christliche Lehre beraubt die Natur und den Menschen ihres bzw. seines ursächlich transzendenten Wesens, verlagert die Deutung des Gottesraumes (die Kantsche höchste Realität) “geographisch” in einen von uns entrückten Himmel (über dem Kreis des Eingangszitates steht dort eben doch noch eine geometrische Figur, ein Dreieck mit einem Auge nämlich, und das ist falsch!), und die Natur bleibt als Hegels Leichnam zurück. So nimmt sie dem Menschen die Bestimmung und Potenz seines eigentlichen Seins. Und “mehr Schuld” geht eigentlich nicht.