Immanente Andersheit

Meister Eckhart sagt: “Dann ist ein Ding ‘voll’, wenn es in seinem Ende ist, so wie der Tag voll ist in seinem Abend. So also ist die Zeit voll, wenn alle Zeit von dir fällt. Das zweite ist, wenn die Zeit in ihr Ende kommt, das heißt: in die Ewigkeit; denn dort hat alle Zeit ein Ende, denn dort gibt es weder Vor noch Nach. Da ist alles das gegenwärtig und neu, was da ist, und da hast du in einer gegenwärtigen Anschauung, was je geschah und je geschehen wird. Da gibt es weder Vor noch Nach, es ist dort alles gegenwärtig; und in diesem gegenwärtigen Anschauen halte ich alle Dinge in meinem Besitz. Das ist ‘Fülle der Zeit’, und so steht es recht mit mir, und so bin ich wahrhaft der einige Sohn und Christus.”
“Dort hat alle Zeit ein Ende”, das impliziert nun eben keine Gliederung nach einem linearen Verständnis, sondern meint die Integration aller Zeit im Hier, das so die Zeit(en) überwindend zu einem gegenwärtigen Sein wird und daher zwangsweise das Ewige, Feinstoffliche, ‘Geistige’ erhebt und das Körperliche marginalisieren muß.
Volkmann-Schluck über den Neuplatonismus: “Erst im Geist wird der Bezirk erreicht, von dem aus das schlechthin ungegenständliche Sein des Einen zugänglich wird. Sein Innewerden zwingt zum Rückzug des Denkens aus der Vielheit des Gedachten in eine neue Einheitsdimension von seinsspezifischer Andersheit.”
Aber diese Andersheit ist durchaus immanent, insofern die Allgegenwärtigkeit dieser Totalität zum Durchscheinen, zum Durchleuchten der Hiesigkeit gebracht wird. Die Ewigkeit ist eben nicht als ein ‘Dort’ zu denken, sondern ist als der andere – im Sinne von ‘erweiterte’ – Zustand zum alltäglichen Sein zu benennen, der aber über und in diesem als absoluter Grund residiert.
So ist der Satz des gnostischen Jesus aus dem Thomasevangelium (ontologisch) aufzufassen: “Seine Jünger sagten zu ihm: ‘Das Königreich, an welchem Tag wird es kommen?’ (Jesus sagte): ‘Es wird nicht kommen, wenn man Ausschau nach ihm hält. Man wird nicht sagen: Siehe hier oder siehe dort, sondern das Königreich des Vaters ist ausgebreitet über die Erde, und die Menschen sehen es nicht.” (Thomasevangelium, Logion 113)