Fichte sagt: “Diesen seinen eigentümlichen Anteil am übersinnlichen Sein kann nun keiner sich erdenken, oder aus einer andern Wahrheit durch Schlüsse ableiten, oder, von einem andern Individuum sich bekannt machen lassen, indem dieser Anteil durchaus keinem andern Individuum bekannt zu sein vermag, sondern, er muß ihn unmittelbar in sich selber finden; auch wird er dies notwendig ganz von selbst, sobald er nur allen eigenen Willen, und alle eignen Zwecke aufgegeben, und rein sich vernichtet hat.
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Geht sie (die eigentümliche höhere Bestimmung) auf, so ergreift sie ihn mit unaussprechlicher Liebe, und mit dem reinsten Wohlgefallen; sie, diese seine ihm eigentümliche Bestimmung, ergreift ihn ganz, und eignet sich an alles sein Leben. Und so ist es denn der allererste Akt der höhern Moralität, welcher auch unausbleiblich, wenn nur der eigne Wille aufgegeben ist, sich findet, daß der Mensch seine, ihm eigentümliche, Bestimmung ergreife, und durchaus nichts anderes sein wolle, als dasjenige, was er, und nur Er, sein kann, was Er, und nur Er, zufolge seiner höhern Natur, d.i. des Göttlichen in ihm, sein soll: kurz, daß er eben gar nichts wolle, als das, was er, recht im grunde, wirklich will. Wie könnte denn ein solcher jemals mit Unlust etwas tun, da er nimmermehr etwas anderes tut, als dasjenige, woran er die höchste Lust hat. Was ich oben von dem natürlichen Talente sagte, gilt noch weit mehr von der, durch vollendete Freiheit erzeugten, Tugend; denn diese Tugend ist die höchste Genialität, sie ist unmittelbar das Walten des Genius, d. h. derjenigen Gestalt, welche das göttliche Wesen in unserer Individualität angenommen. Dagegen ist das Streben, etwas anderes sein zu wollen, als das, wozu man bestimmt ist, so erhaben und groß auch dieses andere erscheinen möge, die höchste Unmoralität, und aller der Zwang, den man sich dabei antut, und alle die Unlust, die man darüber erduldet, sind selbst Empörungen gegen die uns warnende göttliche Ordnung, und Auflehnungen unseres Willens gegen den seinigen. Was ist es denn, das diesen, durch unsre Natur uns nicht aufgegebenen Zweck, gesetzt hat, außer der eigne Wille, die eigne Wahl, die eigne, sich selbst die Ehre gebende, Weisheit? wir sind also weit davon entfernt, den eignen Willen aufgegeben zu haben.”
Nur der Mensch, der mit den höheren Gesetzen, die in ihm abbildbar sind, in Einklang kommt, kann seinem Sein nach wirklich existieren und somit gut leben. Gibt der Mensch den eigenen, auf die Welt gerichteten Willen auf, ist er somit nicht ohne Willen. Aber er gibt Raum dem Willen zum einheitsstiftenden und sich rückexplizierenden Prinzip, und dies im Alltäglichen wie im Gestalterischen (oder Ästhetischen). Es ist zuletzt ein höheres Wünschen und Wollen, es ist somit als der Wille der oberen Seele zu sich selbst (als geistiges Ens) zu nennen. Im Neuplatonischen meint dies die Versicherung der oberen Seelenqualität als die nousspärische (Selbst-) Präsenz.
Ist der Mensch aber im Widerstreit mit diesem in ihm seinem Stand gemäß wirkenden und fordernden Prinzip, ist ihm sein Leben – auch wenn er es mit Vehemenz betreibt – in allem schwer und widerspenstig, ist wie ein Weg durch starre Hindernisse oder schweres Gelände, nichts kommt ihm wirklich zu, alles bereitet Schmerz und Furcht und Widerstand, der freilich ein Widerstand des eigentlichen inneren Willens gegen den künstlichen, außengeleiteten Willen ist. Da die innere Stimme die eigentliche Erfordernis der Seele immer kennt, ist sie die Richtungsweisung, die alle Distraktion des Selbst mit dem Alltags-Ich aufzeigt und auszuräumen gewillt ist.