Heisenberg , neues Weltbild

Werner Heisenberg:
“Wichtig für das materialistische Weltbild ist nur die Möglichkeit, diese kleinsten Bausteine, die Elementarteilchen, als die letzte objektive Realität zu betrachten. Auf dieser Grundlage also ruhte das festgefügte Weltbild des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, und es hat dank seiner Einfachheit eine Reihe von Jahrzehnten seine volle Überzeugungskraft bewahrt.
Aber eben an dieser Stelle haben sich dann in unserem Jahrhundert tiefgreifende Veränderungen in den Grundlagen der Atomphysik vollzogen, die von der Wirklichkeitsauffassung der antiken Atomphilosophie wegführen. Es hat sich herausgestellt, daß jene erhoffte objektive Realität der Elementarteilchen eine zu grobe Vereinfachung des wirklichen Sachverhaltes darstellt und viel abstrakteren Vorstellungen weichen muß. Wenn wir uns ein Bild von der Art der Existenz der Elementarteilchen machen wollen, können wir nämlich grundsätzlich nicht mehr von den physikalischen Prozessen absehen, durch die wir von ihnen Kunde erlangen. Wenn wir Gegenstände unserer täglichen Erfahrung beobachten, spielt ja der physikalische Prozeß, der die Beobachtung vermittelt, nur eine untergeordnete Rolle. Bei den kleinsten Bausteinen der Materie aber bewirkt jeder Beobachtungsvorgang eine grobe Störung; man kann gar nicht mehr vom Verhalten der Teilchen, losgelöst vom Beobachtungsvorgang sprechen. Dies hat schließlich zur Folge, daß die Naturgesetze, die wir in der Quantentheorie mathematisch formulieren, nicht mehr von den Elementarteilchen an sich handeln, sondern von unserer Kenntnis der Elementarteilchen. Die Frage, ob diese Teilchen ‘an sich’ in Raum und Zeit existieren, kann in dieser Form also nicht mehr gestellt werden, da wir stets nur über die Vorgänge sprechen können, die sich abspielen, wenn durch die Wechselwirkung des Elementarteilchens mit irgendwelchen anderen physikalischen Systemen, z. B. den Meßapparaten, das Verhalten des Teilchens erschlossen werden soll. Die Vorstellung von der objektiven Realität der Elementarteilchen hat sich also in einer merkwürdigen Weise verflüchtigt, nicht in den Nebel irgendeiner neuen, unklaren oder noch unverstandenen Wirklichkeitsvorstellung, sondern in die durchsichtige Klarheit einer Mathematik, die nicht mehr das Verhalten des Elementarteilchens, sondern unsere Kenntnis dieses Verhaltens darstellt. Der Atomphysiker hat sich damit abfinden müssen, daß seine Wissenschaft nur ein Glied ist in der endlosen Kette der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, daß sie aber nicht einfach von der ‘Natur an sich’ sprechen kann. Die Naturwissenschaft setzt den Menschen immer schon voraus, und wir müssen uns, wie Bohr es ausgedrückt hat, dessen bewußt werden, daß wir nicht nur Zuschauer, sondern stets auch Mitspielende im Schauspiel des Lebens sind.”