Modifikation und Verhaftetsein

Im Zuge der Beschneidungsdebatte tauchte immer wieder der Begriff des „Stigma“ auf. Hierzu Wikipedia:“ Zur Stigmatisierung gedacht waren ursprünglich echte Leibesstrafen zum Zweck der öffentlichen Ächtung, wie bis in die Neuzeit hinein das Scheren der Haare (für Hurerei) oder des Bartes oder das Abschneiden der Ohren (für Ehrverlust), heute noch manchenorts im Rechtskreis der Scharia das Abschlagen einer Hand (für Diebstahl).“
Erving Goffman vermutet, dass die Stigmatisierungsprozesse „eine allgemeine gesellschaftliche Funktion haben – nämlich Unterstützung für die Gesellschaft bei denen einzuholen, welche nicht von der Gesellschaft unterstützt werden.[Es ist eine Reaktion auf nicht erfüllte Normerwartungen, da dadurch die gemeinsamen Normen weit jenseits derer, die sie voll erfüllen, aufrechterhalten werden können“
So muß dieser Begriff zwischen Leibesstrafe und Zwangsnormierung heute quasi wie ein
Brandzeichen religiöser Gruppierungen wirken, die jeden individuellen Willen hierzu bevormunden und den eigenen Entscheidungsraum durch das Kollektiv ersetzen.
Dasjenige, was Körpermodifikation (wie auch Opfer-oder Speisevorschriften) betrifft, schaut zwar auf Tradition zurück, diese aber ist weder aus sich heraus an Letztes, Unbestreitbares gekoppelt noch füllt sie evident den Zeitraum kulturgeschichtlicher (menschlicher) Existenz aus, daher auch diese Fixiertheit auf die Phase nach angeblich göttlich inspirierten (geographisch begrenzten )Offenbarungen ängstlich beschränkt erscheint. Man weiß ja bald, wo diese Haltung eigentlich herrührt. Vor allem versucht der Mensch nämlich durch (widernatürliche)Modifikationen sich selbst als kulturelles, sich selbst- bewußtes Wesen von der umgebenden Natur als Erhobenes, Objektiviertes abzusetzen. Diese Manier aber muß heute rudimentär anmuten. Denn solche Handlung zeugt lediglich vom Eintritt in den kulturellen Raum,umso weniger aber von (souveräner) Durchwaltung. Und “Religion” wünscht eigentlich spirituelles Sein zum Höchsten, strebt nach Komplettierung, Gesundung des Gebrochenen und Überwindung des Anthropozentrierten. Körperzeichnung und -modifikation ist aber gegenteilig Zeugnis einer Befangenheit in der Auseinandersetzung mit Leiblichkeit und Weltlichkeit und Zeichen von Irritation angesichts derer vermeintlicher Übermacht sowie Verhaftung in dieser. Ähnlich eben auch wie Speisevorschriften oder diverse Opferpraktiken binden sie nicht an Höheres, sondern zeugen von Befangenheit auf das Eigene, Hiesige, Kleine und dazu den Hochmut, dies Hiesige als “göttlich” zu deklarieren.
Daher auch Paulus im Brief an die Kolloser (Kolosser 2,21) : „…in welchem ihr auch beschnitten seid mit der Beschneidung ohne Hände, durch Ablegung des sündlichen Leibes im Fleisch, nämlich mit der Beschneidung Christi,
indem ihr mit ihm begraben seid durch die Taufe; in welchem ihr auch seid auferstanden durch den Glauben, den Gott wirkt, welcher ihn auferweckt hat von den Toten so ihr denn nun abgestorben seid mit Christo den Satzungen der Welt, was lasset ihr euch denn fangen mit Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?
“Du sollst”, sagen sie, “das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren”,
was sich doch alles unter den Händen verzehrt; es sind der Menschen Gebote und Lehren,
welche haben einen Schein der Weisheit durch selbst erwählte Geistlichkeit und Demut und dadurch, daß sie des Leibes nicht schonen und dem Fleisch nicht seine Ehre tun zu seiner Notdurft.”