Traditionalismus und Gegenwart

Felix Herkert: “Dem gewöhnlichen heutigen Menschen muß die Gedankenwelt des Traditionalismus zunächst unweigerlich fremd erscheinen, steht sie doch im Grunde allem, was der moderne Mensch sich und seiner Epoche positiv anrechnet, ablehnend gegenüber  und beruft sich demgegenüber auf Werte, die der moderne Mensch als ‘erledigt’ oder ‘überwunden’ glaubt. … Bevor man sich ein allzu schnelles – und meist negatives – Urteil zu einer Denkrichtung bildet, das zumeist auf eine Verurteilung als ‘antimodern’, ‘reaktionär’, ‘kulturpessimistisch’ oder’esoterisch’ (im pejorativen Wortsinn) – häufig einhergehend mit einer Überakzentuierung der politischen Implikationen des ‘Antidemokratismus’ und ‘Antiegalitarismus’   hinausläuft, sei folgendes einmal grundsätzlich ins Gedächtnis gerufen: Wenn man sich das geistige Profil der traditionalen Denker vor Augen stellt, fällt auf, daß es sich bei ihnen zumeist um außerordentlich begabte und vielseitige Menschen mit außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten – nicht wenige von ihnen beherrschten z.B. ein Dutzend Sprachen – und einer oft schier universalen Kenntnis der spirituellen Überlieferung verschiedenster Traditionen handelt, die zumal nicht selten zu den führenden Repräsentanten ihres Fachgebietes zählten.”
Diese Ausführung  mag den Traditionalen zu gewisser Ehre gereichen, aber gleichzeitig kommt es auf tieferer Ebene hierauf nicht – oder besser: nur in sekundärer Weise –  an.
An einer Fremdheit trägt der Traditionalismus in gewisser Weise selber seinen Anteil, falls er  nicht dem Diktum der Überzeitlichkeit der Kernlehre  folgend Bezugspunkte für heute erschließen kann oder will – eben um   in der Tradition der Alten stehend-  allerdings derer, die auch für heute noch Gültigkeit beanspruchen können -einen Fortbestand (des Gewußten) in die Zukunft zu erwirken. Um ein Beispiel zu nennen, wären etwa Heisenberg oder von Weizsäcker die heutigen Bürgen für die Lehre Platos von der nichtapriorischen Masse der Teilchen oder der Materie als solcher.  Es wäre also sozusagen eine Schwächung der eigenen Position, würde man  unaufhörlich um die  geometrische Symbolik in Platos Naturlehre kreisen, und sie nicht mit heutiger Evidenz  anfüllen und ergänzen zu wollen bzw.  aus einem Mißtrauen gegen die Wissenschaft überhaupt hiervon gar nicht erst Kenntnis haben.
Der ganze spezifisch westliche Weg der Rationalisierung (auch des Sanktums)  muß zuletzt auf eine Synthese der heutigen Ansprüche  mit der  einst mythisierten Unmittelbarkeit, die mit einer  unverifizierten Empirie einherging und die nur subjektiver bzw.  intersubjektiver Erfahrung nach Bestand hatte und in Folge gar nur symbolisch kolportiert wurde, hinauslaufen.  Nur so kann der Mensch in dem gesamten Fundament seiner  Befähigung zu seinem  zweckgerichteten (individuellen und somit auch globalen) Aufgang  zu erfassen sein. Es soll  heute -genügend Bewußtsein und Bereitschaft hierfür  vorausgesetzt- zu einer Zusammenkunft  von Intuition, Ahnung und Ratio, Mythos und Buchstäblichkeit, schließlich von immanentem und transzendentem Inhalt  kommen – ohne Abwehr, Abscheidung oder  Auslassung irgendeiner Komponente der zur Entfaltung bestimmten teleologischen Anlagen. Hier wird auch das Verständnis von einem esoterischen Inner Circle obsolet. Tatsächliche Mystagogen -wie Meister Eckhart oder auch Thomas Müntzer ´-haben sich in ihrem Wissen um die Universalität des Werkes für eine ‘Demokratisierung’ der Einsicht und des Wissens gerade an das nicht-gelehrte  Volk gewandt .  Und heute ist es noch unabdingbarer,  das Esoterische in die  profan-immanente Breite diffundieren zu lassen, um das Immanente von Innen zu entwickeln und es letztlich seiner eigentlichen (transzendenten) Art nach begreifbar zu machen  (was einer Sakralisierung des Raumes gleichkommt).  Daß dies selbstredent nicht alleine mit intellektueller Absonderung -und schon gar nicht durch einen  ästhetisierenden und historisierenden Meta-Diskurs bewerkstelligt wird, das bringt nicht zuletzt der bekannte Traditionalist  Rene Guenon mit der Bemerkung zum Ausdruck, daß der Traditionale einen Lebensweg zu beschreiten hat,  der ein Studium ‘von innen’ meint.