Aufnahme und Einswerdung

In seinem Buch der göttlichen Tröstung schreibt Meister Eckhart:
“Je vollkommener und reiner die Kräfte der Seele sind, umso vollkommener und umfassender nehmen sie das, was sie erfassen, auf und empfangen umso mehr und empfinden umso größere Wonne und werden umso mehr eins mit dem, was sie aufnehmen, und zwar in dem Maße, daß schließlich die oberste Kraft der Seele, die aller Dinge bloß ist und mit nichts etwas gemein hat, nicht weniger als Gott selbst in der Weite und Fülle seines Seins aufnimmt.”

Diese Textstelle fügt sich bestens zu einer spezifischen Nahtoderfahrung eines Probanden, der aufgrund seines Erlebnisses schlicht nach dem Sinn des Lebens gefragt wird. Die Antwort fällt in gewisser Weise frappierend einfach aus: das Leben selbst biete eine Möglichkeit des Wachsens, um die Kraft / die Liebe der umfänglichen und unnennbaren, aber in der NTE als Lichterfahrung erlebbaren ‘Entität’ aufnehmen, fassen und halten zu können – um sie schlußendlich selber zu sein. Daß man einst diese Kraft gleichsam einem hierzu ausreichenden Gefäß in sich aufzunehmen geeignet ist, ist Ergebnis einer individuell – evolvierenden Öffnung zum Ganzen im Bewußtsein der Möglichkeit einer Wesensannäherung bis zur inneren Wesensgleichheit durch Erringung und Entfaltung der verborgenen eigenen Größe (bzw. Unendlichkeit).
Es ist offensichtlich, daß Eckhart hier eine Mystagogik entwirft, die zugleich auch eine lebenspraktische Glückslehre genannt werden kann, da sie geeignet ist, ein in der Tiefe erlebbares Kontinuum vom Hier zum (allzeit zur Wirkung drängenden) erhebenden Transzendenten herzustellen. Was aber genauer kann sein Attribut ‘rein’ in Hinsicht auf die Seele meinen? Wir finden dies Diktum von der Reinheit in vielerlei Einlassung aus idealistischer Sicht ausgesprochen, so zum Beispiel bei Ficino: Fliehe das Äußere, Viele, Materielle, Körperliche, richte dich nach innen und oben aus.
Und Eckhart mit Bezug auf Origines: “Gottes Bild, Gottes Sohn sei in der Seele Grund wie ein lebendiger Brunnen. Wenn aber jemand Erde, das ist irdisches Begehren, darauf wirft, so hindert und verdeckt es ihn, so daß man nichts von ihm erkennt oder gewahr wird.”
Aber Eckhart sagt auch -und dies ist als Aufforderung zur Durchdringung zu verstehen (“Gottes Bild wird ihm aus allen Dingen sichtbar.”): “Dies kann der Mensch nicht durch Fliehen lernen, indem er vor den Dingen flüchtet. ”