Parmenides, Prooemium

Über Parmenides’ Prooemium: “Bericht des Erzählers von einer Reise, die ihn bis vor das Tor führt, durch welches die Pfade von Tag und Nacht verlaufen und das von Dike, der Göttin der Gerechtigkeit, bewacht wird. Nachdem Dike dem Erzähler Einlass gewährt hat, wird er von einer namenlosen Göttin begrüßt, die von nun an allein das Wort führt. Sie erklärt ihm zunächst, dass ihn sein Wandeln fernab von den üblichen Pfaden der Menschen an diesen Ort geführt habe, weshalb sie ihm nunmehr offenbaren werde, was es einerseits über die Wahrheit an Sicherem zu sagen gibt und was andererseits den Sterblichen wahr zu sein scheint. Mit Sicherheit, so fährt die Göttin fort, muss gesagt werden, dass das Seiende (t’eon, ta eonta) ist, das Nicht-Seiende (mê eonta) hingegen nicht. Das Seiende, so Parmenides, sei vollendet und gänzlich unveränderbar. Die Möglichkeit einer Veränderung oder Zerstörung sei undenkbar und somit sei die Annahme irgendeiner Form der Veränderung des Seienden bloße Meinung (doxa) und somit purer Schein. ” (Wikipedia)
Hierzu nun einige Sätze aus  “Parmenides, Vom Wesen des Seienden” von A.Reckermann:
L. G. Marciano hat sich der alten Konjunktur von Simon Karsten angeschlossen, wonach der Weg den parmenidischen Jüngling durch alles Dunkle bringt. So unterstützt sie die Interpretation ihres Lehrers Walter Burkert, der den Weg der Göttin als Initiationsweg deutet und deshalb den wissenden Mann … als Eingeweihten im Sinne der Mysterienkulte  versteht, der den Weg in die Unterwelt und damit an die Grenze zwischen Tod und Leben deswegen nicht mehr fürchten muß, weil er ihn in der kultischen Begegnung mit der Unterweltgottheit schon gegangen ist. Weder die Frage nach der Aussageabsicht des Prooemiums (nur eine Allegorie oder mythisch ernst gemeinte Umschreibung eines göttlich beglaubigten Wissens … ist sicher zu beantworten….”
Gemäß des zuletzt Gesagten möchte ich die Schilderung des Parmenides, “die als den Ort ihrer Wahrheit eine Wirklichkeit benennt, die nur im Medium mythischer Bilder umschrieben werden kann” (Reckermann)  als die Wiedergabe einer höchst realen – und dem Seinsgehalt nach gesteigerten!- und in dieser Art tatsächlich erfahrenen (erfahrbaren) Erlebnisebene interpretieren. Wie schon für die   Mysterien von Eleusis ist auch hier  eine ganz grundlegende (bewußtseinstranszendente) Empirie zu vermuten, die aber (man kann fast sagen: wie gewohnt) innerhalb des abgesteckten, konventionellen   Interpretationsrahmens  oft gar nicht erst in Betracht gezogen wird. Es stellt dabei keine unzulässige Überschreitung dar, hier solcherlei Vermutung anzustellen, denn Reckermann sagt selbst: “Es gibt keine risikolose Parmenides-Interpretation, so daß die Möglichkeit des Irrtums fest in sie eingeschrieben ist.”
“Der Versuch… hinter der Mythologie ‘ein existentielles Motiv’ wahrnehmbar zu machen, das aus der Erfahrung der menschlichen Vergänglichkeit das Problem von Werden und Vergehen im Ganzen stellt (nach Hölscher).”  Gerade dieser Interpretationsansatz erscheint mir nicht suffizient! Er gibt ja sogar bestes Beispiel für eine gerne präferierte (und allzu bequeme) Herleitung für ‘Religion’ überhaupt, die sich  dann zuletzt auf kaum  mehr als auf  eine Kausalität von Angstmotivationen zurückziehen muß. Ebenso verkürzend erscheint aber der Versuch, das ganze nur als eine Angelegenheit intellektueller Deduktion  zu begreifen:
“…zeigt sich, daß das Denken des in Wahrheit Seienden als des Einen und in sich Zusammenhängenden, das sich darin ausspricht, nicht, wie Nietzsche das unterstellt hat, einem ungriechischen ‘Moment der …völlig blutlosen Abstraktion’ entsprungen zu sein, sondern daß es das Problem des Todes und der damit verbundenen Nächtigkeit des Lebens gewesen ist, das sowohl seiner Ontologie als auch der von ihr ausgehenden Kosmologie Anstoß und Ziel vorgegeben hat.”
Oder weiter in der Verquickung von  Angstmotiv und Abstraktion: “… So besteht der Anfang, von dem das Fragen des Parmenides ausging, in der Verarbeitung der irritierenden Erfahrung des Werdens und Vegehens , die nach Hölscher aus dem Augenblick heraus möglich wurde, ‘als ihm aufging, es gibt keine Löcher von Nichtsein in dem Kontinuum des Ganzen, es ist nur Seiendes, und das Seiende ist Eines.’ Hölscher klagt damit für Parmenides die Fähigkeit ein, die Wirkung der ‘furchtbaren und betäubenden Vorstellung’ der ‘gänzlichen Unbeständigkeit alles Wirklichen, das fortwährend nur wirkt und wird und nichts ist’, ‘ in das Entgegengesetzte’, also in das ‘Erhabene und das beglückte Erstaunen zu übertragen.”
All dies ist der Erklärung zu wenig. Weder das seelische Moment der Irritation und Erschütterung angesichts  von Niedergang und Vergänglichkeit, noch aber eine rein gedankliche ‘Übung’ und Bemühung zur Seinsaufhellung erklären nach meiner Überzeugung Parmenides’ Impetus, wie auch nicht den Impetus aller verwandter Erzählungen und Erzähler  in früher gnostischer oder idealistischer Tradition (Orpheus, Pythagoras, Empedokles, Platon…). Man scheut aber offenbar den Wunsch zur Konkretion der mythischen Sprache und Ummantelung, man mag nicht bis zum Kern gehen,  was auch heißt, daß man  die anthropomorphe Sicht der Defizienzerfahrung ganz beibehält und so  wegen dem Fokus auf einen Mangel (und nicht aus der Annahme pleromatischer Fülle) das Ausschnitthafte der Perspektive zur Grundlegung aller weiteren Hinleitung voraussetzt. Dabei kann man mit Gewißheit zwei Blickweisen feststellen, die dem Menschen seit Beginn aller Rechnung  den Zugang zum Numinosen erlaubt haben: Es handelt sich nämlich einerseits um den Gebrauch des schamanischen Pflanzen- Entheogens und andererseits schlicht um die Nahtoderfahrung –  ihre Implikationen  gehen jeder Religion und erst Recht jeder Philosophie voraus, sie meinen die Apriorie  aller transzendenten Kolportage und jeder Form ihrer viel späteren  Institutionalisierung, sei sie  theoretisch intellektuell, oder glaubenspraktisch rituell. So wurden und werden sie auch vom fortschrittlichsten Rationalisierungsversuch  nie eingeholt oder gar übertroffen, sondern hierin -idealiter- lediglich  in anderer Sprache NACHvollzogen, (dies, weil ihre Inhalte  allgemein in der Tiefe des Seins liegend auch geistig ‘erzwungen’ werden können.)
Immerhin erfährt diese andere Deutung in einem weiteren Zitat über Parmenides  tendenzielle Bestätigung:
“In Hölschers Deutung wird Parmenides überzeugend zum Vertreter einer ontologisch und zugleich erkenntniskritisch fundierten Physik besonderer Art. In ihr geht es nicht nur um die geistige Bewältigung menschlicher Sterblichkeit, sondern um den Versuch, das menschliche Wirklichkeitsbewußtsein auf einen Zusammenhang des Ganzen blicken zu lassen, der das menschliche Dasein und auch das ihm zugehörige Denken übersteigt, auch wenn wir ein solches Ganzes der Natur heute im Medium der Wissenschaft nicht mehr erschließen können. “
Dem Letzteren  liegt nun allerdings ein Wissenschaftsverständnis zugrunde, das von heutiger Warte längst konterkariert wurde!