C.G. Jung, Karl Ballmer, Volksgeist

C.G.Jung im Jahre 1919:
“Ein Teil der autonomen (psychischen) Komplexe entsteht aus … persönlichen Erfahrungen.Ein anderer Teil aber stammt aus  ganz anderer Quelle. So leicht ersichtlich die erste Quelle ist, -weil sie eben das jedermann sichtbare äußere Leben betrifft- , so dunkel und schwer verständlich ist die andere, weil sie immer Wahrnehmungen oder Eindrücke von Inhalten des kollektiven Unbewußten betrifft.  Gewöhnlich versucht man diese inneren Wahrnehmungen durch äußere Ursachen zu rationalisieren, ohne damit aber der Sache beizukommen. Es handelt sich im Grunde um irrationale Inhalte, welche dem Individuum zuvor nie bewußt waren und die es darum vergebens irgendwo außen nachzuweisen versucht. Die primitive Auffassung drückt dies treffend  aus mit ihrer Überzeugung, daß ein fremder Geist dabei seine Hand im Spiel habe. Nach meiner Erfahrung treten diese inneren Erlebnisse entweder dann ein, wenn eine äußere Erfahrung dermaßen erschütternd auf das Individuum eingewirkt hat, daß seine ganze bisherige Lebensanschauung zusammenbricht oder wenn die Inhalte des kollektiven Unbewußten aus irgendeinem Grunde eine so große Energie erlangen, daß sie das Bewußtsein zu beeinflussen vermögen.
Dieses letztere Ereignis tritt meines Erachtens dann ein, wenn im Leben eines Volkes oder überhaupt einer größeren menschlichen Gruppe eine tiefgreifende Veränderung politischer, sozialer oder religiöser Natur stattfindet.
Diese Veränderung bedeutet zugleich eine Veränderung der psychologischen Einstellung. Wir sind zwar gewohnt, tiefgreifende historische Veränderungen ausschließlich auf äußere Ursachen zurückzuführen. Ich glaube aber, daß die äußeren Umstände öfters mehr oder weniger bloße Gelegenheiten sind, bei welchen die unbewußt vorbereitete, neue Einstellung zu Welt und Leben manifest wird. Durch allgemeine soziale, politische und religiöse Bedingungen wird das kollektive Unbewußte affiziert, und zwar in dem Sinne, daß alle diejenigen Faktoren, welche durch die herrschende Weltanschauung respektive Einstellung im Leben eines Volkes unterdrückt werden, sich allmählich im kollektiven Unbewußten ansammeln und dadurch seine Inhalte beleben. Meistens ist es dann ein Individuum oder oder mehrere von besonders kräftiger Intuition. welche diese Veränderungen im kollektiven Unbewußten wahrnehmen und sie in mitteilbare Ideen übersetzen. Diese Ideen breiten sich dann rasch aus, weil auch bei den anderen Menschen  parallele Veränderungen im Unbewußten stattgefunden haben. Es herrscht eine allgemeine Bereitschaft, die neuen Ideen aufzunehmen, obschon andererseits auch ein heftiger Widerstand dagegen besteht. Neue Ideen sind nicht bloß Gegner der alten, sondern sie treten auch meistens in einer Form auf, welche der alten Einstellung als mehr oder weniger unannehmbar erscheint.”

Anmerkung von C.G. Jung von 1952: “Die obige Beschreibung des Zustandekommens einer Kollektivpsyche ist im Frühjahr 1919 verfaßt worden. Die Zeitereignisse von 1933 an geben dazu die Bestätigung.”

Karl Ballmer:
“Die Theosophie Rudolf Steiners definiert den Begriff des Schöpfers, und diese für die theologische Vorstellung unwahrscheinliche Begriffsdefinition lautet: ‘Ein jegliches Wesen entwickelt sich vom Geschöpf zum Schöpfer.’ Zu den sich entwickelnden Wesen gehören nicht nur die Wesen der natürlichen Dinge, sondern auch die geistigen Mächtigkeiten, die theosophisch als Hierarchien bezeichnet werden. Innerhalb der letzteren nehmen die Volksgeister eine bestimmte Rangstufe ein. Ihr ‘Ich’ als Prinzip ihres Handelns ist äußerlich nicht sichtbar, geradeso wie in der ebenfalls ohne Gehirn handelnden Amöbe deren ‘Ich’ äußerlich nicht zu sehen ist. Der Teilhabe des deutschen Volksgeistes an der Veranstaltung ‘Wiedererscheinung des Christus’ entspricht auf dem physischen Plan das ‘deutsche Schiksal’. Der Einbau eines neuen Elementes der Welt-Seele in das Wissen und Dasein der physischen Menschen geschieht unter Konvulsionen. Davon reden die Rätsel und Paradoxien, die Schrecken und der Un-‘Sinn’ der sozialen und kriegerischen Weltkatastrophen. Bei der wirklichen Geschichte -als Handlung des ‘Schöpfers’ – sind weder diejenigen, die die Deutschen beargwöhnen, noch die Deutschen selbst mit Bewusstsein dabei. Doch war es immerhin ein großer Deutscher, Hegel, der die ‘List der Idee’ als die Schaffensart des Weltsubjektes beschrieb und als das Material der listigen Idee die Illusion in den Köpfen der Völkerführer erkannte. Der Volksgeist – in Führern und Geführten- wirkt in den Sphären des *Unterbewussten’. Es wird eine Äußerung Rudolf Steiners über Adolf Hitler tradiert (sie muß sich auf die Zeit des Münchner Putsches von 1923 beziehen, da R. St. 1925 starb): Hitler habe eine Marien-Imagination gehabt, doch habe er nicht begriffen, was er schaute. -Ich denke, daß das Symbol der Maria den Mutterschoß der Volksseele andeutet, der die Probleme des sich durchringenden und behauptenden weltförmigen ‘Ich’ gebiert, -während auf dem physischen Plan die ‘Siegermächte’ des ersten Weltkrieges die Entmachtung und Erniedrigung Mitteleuropas, d.h. des Volkes Fichtes, Hegels und Schellings betrieben. Man mag vor der befremdlichen Äußerung Rudolf Steiners erschrecken – oder auch sich von ihr die Vermutung bestätigen lassen, daß eine ‘jenseits der Schwelle’ manifestierte Geschichte (Urgeschichte) und die Zeitungsgeschichte zwei verschiedene Dinge sind.”
(Karl Ballmer an Hans Schär, 1953)

Sicher mag es sich hier  im Kontext um Begrifflichkeiten des 19. Jahrhunderts handeln, sicher auch ist der ganze Begriff der Völkerpsychologie seit der Zeit des Nationalsozialismus in anhaltenden  Mißkredit geraten. Jenseits eines esoterischen Schattendaseins (man denke an die Wurzelrassen der Theosophen und Anthroposophen) mag er zunächst keine Verwendung mehr finden.  Geht man jedoch ganz grundlegend von der Reinkarnationslehre vor dem Hintergrunde idealistischer Weltbilder  aus (auf denen die verschiedenen esoterischen Schulen freilich zuletzt-wenn auch in verschiedenster Ausformung- fußen), kann man  seine Implikationen nicht einfach zur Seite schieben:  Denn  dem in die Form explizierten Geist  ist auch die seinem Bewußtseinsstande gemäße Verkörperung zu eigen, so sucht sich die Explikationsform “Mensch”  seine Inkarnation eben dieser Verfassung gemäß selber aus, für den europäischen Kulturkreis mag hier ein Zitat über den Neuplatonismus herausgestellt werden: “Aber nicht allein das Geistige überdauert das Erdendasein, denn jene Seelen, die sich ihre Reinheit nicht bewahren und sich daher ohne Aufstieg sogleich erneut inkarnieren, vollziehen ihrem Charakter entsprechend als Gesamtseelen den Übergang in ein anderes Lebewesen,” (Karin Alt)
Insofern muß  eine Geographie,  die sich im raumzeitlichen Rahmen neben der Bedeutung der zeitlichen Komponente als Erde, Erdteil, Land, Region usw. ausformt, als nicht zufällige Größe und  als Lebensraum in der Summierung reinkarnationstechnisch verwandter Bewußtseine ein ansteigendes geistig Zusammengehöriges  darstellen. Mit zunehmender Eingrenzung wird also anhand geographischer Koordinaten die Erhöhung der graduellen Bewußtseins- Verwandtschaft ausgedrückt (Und sei dies “nur” als unbewußte Rahmenbedingung  zur Möglichkeit der Seelenentwicklung.) Niederschlag findet diese Verwandtschaft sichtbar vor allem in der Resonanz zur  kulturellen Errungenschaft.  Diese Resonanz ist gerade nicht durch einen geographischen Wechsel des Menschen abzulegen  oder veränderbar, sondern eben auf eine tiefere seelische Disposition zurückzuführen,  die man heute vorzugsweise “Mentalität” nennt.
Wenn man vom Zweck der Reinkarnation zur Rückentwicklung zur höchsten Bewußtheit ausgeht,  ist so nach dem Gesagten zudem eine geistige Hierarchisierung nach Geographie und Einwohnerschaft  ableitbar, was wiederum stark dem theosophischen Denken nahekommt.