Entpersönlichung

Werner Beierwaltes zum Neuplatonismus: “Aus der Interpretation einiger (Renaissance-)Portraits ergeben sich für” (den Klassischen Archäologen) “Detlef Rößler einmal eine ‘Entpersönlichung’, der ‘ein in sich gekehrtes kontemplatives Wesen’ entspricht; die Portraits weisen auf eine ‘transzendente Geistigkeit’ hin, haben eine Tendenz zur Spiritualisierung der physischen Erscheinung.”

Doch wenn man ernst macht mit einer solchen Spiritualisierung, soll doch die anthropomorphe Gestalt selbst aus dem Mittelpunkt rücken, die Form könnte sich vielmehr ganz befreien von aller Hiesigkeit, und angesichts der plotinischen Hypostatsen gibt es hierzu prinzipiell zwei Wegrichtungen:

  1. Mit Blick auf das Eine – Die Abstraktion der Form bis zur totalen Auflöung zur Veranschaulichung rein energetischer Zustände oder gar der Darstellung des Einen, des Nichts: Dies ist freilich aufgrund der Paradoxie dessen Zuschreibungen und der Unergründlichkeit seiner Eigentlichkeit, die auch gleichsam Fülle meint, eben nicht durch eine einfache künstlerische Nichtung oder totale Formlosigkeit abzubilden. Das schlichtweg nicht Darstellbare darzustellen impliziert demnach viel eher Symbol und Andeutung, eine Bereitstellung von – wennauch ‘surrealen’ oder ‘superrealen’ -Anschaulichkeiten oder Objekten zur Summen- und Synthesenbildung im Perzipienten, die aber nicht im Bild selber ersehbar ist. Hier berühren wir die Grundlegung des Symbols selber: Sein Zweck ist das Hinausgehen über es in seinem Ansichtigwerden.
  2. Mit Blick auf den Nous als Hort der Vielfalt der (bzw. vor der) Erscheinung: hier treten durchaus andersartige formhafte Entitäten hervor, die naturgemäß der raumzeitlichen Apriorie zuvorderst archetypischen (eidetischen) Charakters sind, auch hier mit Tendenz zur Übersteigung und Abstraktion des Bekannten. Madame Blavatsky sagt: “Nur noch die Abstraktion konnte der bevorstehenden Morgenröte des Geistes gerecht werden.” So kann (im geistigen Hinzuerwerb) alle mögliche Gestalt angenommen werden, unterschieden nur deutlich von der uns bekannten (anthropomorphen) Art. Es ist zuvorderst nicht zu klären, ob die Phantasie- so man sie antreibt und ‘zwingt’ bis sie magisch wirksam wird- reine Erfindungen des Geistes schafft, oder ob diese Bilder eine ontische Grundlage haben und gar zur Sichtbarwerdung drängen im Ingenium des Künstlers, der so Verbindungen zum Eidetischen herstellend erst (tendenzielles) Sein als Form expliziert. Die Frage wäre hier auch aufzuwerfen, ob nicht Imaginationen als solche apriorische Realität proklamieren können – und ob nicht alle Realität Erfindung ist. Jay Winter sagt “Hellseher wie Maler seien in die Lage versetzt, “höhere Materie” zu erkennen, “in welcher Gedanken und Gefühle Muster bilden, die auf keine Weise den Dingen auf materieller Ebene ähneln.” Und der Dichter Wallace Stevens: “Doch letztendlich nutzen wir für das Verfassen von Dichtung dieselben Fähigkeiten wie für das Erschaffen von Göttern. In Ermangelung eines Gottglaubens beginnt der Geist selbst schöpferisch tätig zu werden und seine eigenen Schöpfungen zu beleuchten, nicht allein aus einem ästhetischen Blickwinkel, sondern auch auf die Frage hin, was sie offenbaren, was sie bestätigen, was sie entkräften und welchen Beistand sie leisten. Gott und Imagination sind eins.”
    In einer Nebenbetrachtung sei bemerkt, daß transzendente Formen und Entitäten außerhalb bekannter Muster, die gemeinhin christlichem Kanon folgten – üblich dem Dämonischen zugerechnet werden.
    Hierzu Wikipedia: “…waren nach Ansicht der damaligen Dämonologie die Dämonen den einzelnen Menschen (oder auch Völkern) zugesellte Geisterwesen, welche dieselben von der Geburt an auf allen ihren Lebenswegen begleiten. Die Einwirkung dieser Dämonen äußerte sich einmal zum Schutz und Heil, aber auch zum Schaden der Menschen.”
    Die rein negative Konnotation erfuhr der Begriff erst seit dem Christentum, und noussphärische Entität begegnet uns dort allein in der Darstellung von Engeln – einer Darstellung also, die formhaft vorgegeben (und prinzipiell hiesigen Charakters) ist und eben nicht von Einblick, Ingenium und Hinzuerwerb kündet, sondern im Gegenteil als Hinderung der Imagination die transzendenten Formen, Einsichten und Errungenschaften nicht zur Geltung bringen läßt.