Fichte und Aufschwung

Fichte: “Diese zwei Ordnungen, die rein geistige und die sinnliche, welche letztere aus einer unübersehbaren Reihe von besonderen Leben bestehen mag… Die letztere Ordnung ist nur eine Erscheinung für mich selbst und für diejenigen, die mit mir in dem gleichen Leben sich befinden: die erstere allein gibt dem letzern Bedeutung, Zweckmäßigkeit und Wert. Ich bin unsterblich, unvergänglich, ewig, sobald ich den Entschluss fasse, dem Vernunftgesetze zu gehorchen; ich soll es nicht erst werden. Die übersinnliche Welt ist keine zukünftige Welt, sie ist gegenwärtig; sie kannn in keinem Punkte des endlichen Daseins gegenwärtiger sein als in dem andern; nach einem Dasein von Myriaden Lebenslängen nicht gegenwärtiger sein als in diesem Augenblicke. Andere Bestimmungen meiner sinnlichen Existenz sind zukünftig; aber diese sind ebenso wenig das wahre Leben, als die gegenwärtige Bestimmung es ist.
Ich ergreife durch jenen Entschluß die Ewigkeit und streife das Leben im Staube und alle anderen sinnlichen Leben, die mir noch bevorstehen können, ab, und versetze mich hoch über sie. Ich werde mir selbst zur einzigen Quelle alles meines Seins und meiner Erscheinungen; und habe von nun an, unbedingt durch etwas außer mir, das Leben in mir selbst. Mein Wille, den ich selbst, und kein Fremder, in die Ordnung jener Welt füge, ist diese Quelle des wahren Lebens und der Ewigkeit.”
Dieser allerkühnste Aufschwung aber ist zuvorderst erst etwas im Sinne des Wortes Er-Dachtes denn ein Eintritt in einen konkreten Erfahrungsraum. Und zukünftige Leben wären zwar einst hypostasiert in die höheren Bereiche, aber diese Möglichkeit soll ohne wirkliches Interesse bleiben (hier muß naturgemäß an den Kern der Lehre Meister Eckharts erinnert werden, nur der aller Verwirklichung -so hoch sie auch sei – ganz übergeordnete Quell dieser Bestimmungen wird als erstrebenswert angesehen. Doch alleine in Anbetracht dieses Zieles und dessen gedanklicher Vergewisserung gewinnt Fichte schon Anteil, Vergegenwärtigung und Zugang an dieser Bestimmung, und dies macht ihn schon innerhalb der raumzeitlichen Existenz weit erhaben über jene Realitäten, die bloß der lebenswirklichen Interessensphäre zuzurechnen wären. Fichtes Intuition indes korreliert hier etwa mit den Aussagen der Theosophie, die von einem siebenstufigen Ich ausgeht, das in verschiedenen Dimensionen zugleich existierend miteinander verwoben ist und interagiert. Dies auch eine Grundaussage des Neuplatonismus: das eigentliche, höhere Sein ist allzeit gegenwärtig und ontisch teilhaft unserer Existenz.
Fichtes “sich Versetzen” ist indes zuvorderst kein real Erlebtes, da die (perzeptiven) Hemmnisse, die fesselnde Kraft des Körpers ohne weiteres nicht zu überwinden sind, sodaß er sie so keineswegs einfach “abstreifen” kann. Die geistige Ermächtigung aber ist ein Sinnieren und Vergewissern um die eigene Teilhabe und unendlich ermächtigende Potenz, die eben geeignet ist, das Leben als solches perspektivisch in einen höheren Seinsrang einzurücken. Im Jainismus etwa ist dies rein geistig Seiende als jiva benannt, im Zustand der Ruhe befindet es sich im lichten, obersten Segment des “Weltraumes” dem Ort, der als nirvana bezeichnet ist. Dem Philosophen ist es weniger beschieden, in diese Endbestimmung mystischer Bestimmung einzublicken, denn sein Leben – weil er immerhin um Konsequenzen weiß, die in die selbe Richtung schauen – gedanklich wie emotional in solchem Sinne zu interpretieren und zu gestalten.