Indifferenz, spirituelle Findung

Kurt Flasch: “Glaubensverkünder drängen auf Entscheidung. Wer nicht für sie ist,sagen sie, sei gegen sie. Sie gestatten nicht den unorganisierten prüfenden Zuschauer. Philosophen des 20. Jahrhunderts haben Kierkegaards Analysen aufgegriffen und werteten Indifferenz als uneigentliches Leben. Aber manchmal ist Indifferenz empfehlenswerter als Engagement. Wer Entscheidung fordert, verpönt das Spielerische des bloßen Dahinlebens, er rät zu Ernst und Eigentlichkeit.”

Indifferenz kann hier genauer auf zweierlei Weise behandelt werden. Im negativen Sinne  ist sie einfach  Ausdruck von Ungeistigkeit oder geistiger Bequemlichkeit (die sich aber gerne einen eleganteren Namen zulegt, so etwa den der ‘Agnosie’ ). Das “Dahinleben” ist hier kein spirituelles  “Im Moment sein”, kein bewußtes Leben. Marie von Ebner Eschenbach sagt:-“Nur der Denkende erlebt sein Leben, am Gedankenlosen zieht es vorbei.”
Und genauer betrachtet zieht das Leben somit am Christen vorbei, denn der Christ hat sich die Gedankenlosigkeit -allerdings nicht in ihrer kontemplativen Ausprägung- zum eigentlichen Prinzip erklärt, denn das Christentum meint-einfach gesagt-  ein System der Nachfolge, ist dabei ganz eine Anschauung des Herzens (geworden), und steht eben nicht in der tätigen geistigen Auseinandersetzung und Durchdringung, daher auch der christliche philosophische Anspruch gerade  einen unvollständigen Platonismus bei Augustinus oder etwa die zirkelschließerische Denkart bei Thomas Aquin hervorbringen kann, denn zuletzt geht es nur um einen  Nachvollzug des Offenbarten, und dieses Vorgehen ist zuletzt nicht als ‘geistig’ im Eigentlichen zu erachten, da der Intellekt  hier auf reine Akzeptanz, also auf seine Selbstbeschränkung abstellt und sich  seinem freien und schöpferischen Selbst entfremdet hat.  Schelling sagte: “Wir fordern höchstes Leben, freiestes eigenstes Daseyn und Wirken ohne Beengung oder Begrenzung des Absoluten.”
Indifferenz kann aber auch im positiven Sinne  eher als Distanz zu einer vorschnellen oder unreflektierten Zusage an etwas als absolut proklamiert Vorfindlichem, wie also die sogenannten Offenbarungsgehalte, verstanden werden. Nicht -und hier möchte ich über Flasch hinausgehen-, weil man  einer Offenbarung per se die Möglichkeit eines Ewigkeitscharakters absprechen möchte, sondern weil ihr Ausdruck und Vollzug, ihre Konkretion positiv besehen  lediglich als eine Erklärungs-Option, im Negativen aber  als Willkür oder gar Betrug erkannt wird. Hier wird Indifferenz eher zum Signum kritischer und im weiteren Zuge progressistischer Vorgehensweisen. Und gerade dies darf religiös genannt werden, die Apostasie ist sozusagen Teil  der dialektischen Bewegung   im Sinne einer Rückexplikation (des göttlich Emanierten), einer Aufwärtsbewegung, die sich in der tätigen Entkleidung, in der Entschleierung, im zunehmenden Ausschluß allen  Irrtums als positives Bekenntnis im Sinne einer Findung definiert.
Madame Blavatsky : “Wenn irgendwo, in der Linie des Aufstiegs von der Pflanze oder dem Rädertierchen bis zu dem edelsten Menschen eine Seele entwickelt wurde, begabt mit geistigen Fähigkeiten, so kann es nicht unverständig sein, zu folgern und zu glauben, daß eine Fähigkeit der Wahrnehmung auch im Menschen im Wachsen ist, die ihn mit der Zeit befähigen wird, Tatsachen und Wahrheiten selbst jenseits unseres gewöhnlichen Gesichtskreises zu erschauen. Wir zögern jedoch nicht, die Wahrheit von Biffe s Behauptung anzuerkennen, dass das wesentliche immer dasselbe ist. Ob wir den Marmor, der die Bildsäule im Blocke verbirgt, nach innen zu behauen, oder nach außen hin Stein auf Stein setzen, bis der Tempel vollendet ist, unser neues Ergebnis ist nur eine alte Idee. Die letzte aller ewigen Wahrheiten wird die ihr beigeordnete andere Hälfte in der ersteren selbst finden.”
Bestätigt dieses Zitat auch indirekt die Ewigkeit und Zeitlosigkeit eines Offenbarten, so betont sie jedoch zugleich die Notwendigkeit der tätigen Findung.  Und dies ist ganz gnostisch und platonisch. Die Entscheidung meint hier eine  positive  Bestimmung in der fortwährenden Abscheidung des Falschen.
Diese Haltung  prägt übrigens auch eine exoterische oder politische Implikation: “Jeder Tag bringt die Reaktionäre ihrem Punkte näher, wo sie ihre despotische Autorität über das öffentliche Gewissen niederlegen müssen.” (Madame Blavatski)