Solowjew und Iljin zum Antichristentum

Das Antichristentum, das nach Anschauung der Bibel den letzten Akt der historischen Tragödie kennzeichnet, wird nicht einfacher Unglaube sein oder Ablehnung des Christentums oder Materialismus und dergleichen, sondern es wird religiöse Usurpation sein, wobei sich solche Kräfte in der Menschheit den Namen Christi aneignen werden, die in Wirklichkeit und dem Wesen nach Christus und seinem Geist fremd und sogar feindlich gegenüberstehen.” Wladimir Solowjew

Man erkennt an folgendem Passus, daß der russische Philosoph  Ivan Iljin ganz in der Tradition Solowjews argumentiert, somit – wie auch Solowjew- einen Gegenpart zum universalistisch-altruistischen Ansatz Tolstois einnimmt. Alle Drei  argumentieren auf spirituellem Grunde, aber Tolstoi denkt ‘noussphärisch’ ganzheitlich, verschränkend, daher im lebenspraktischen Sinne (bedingungslos?) integrativ und versöhnend. Gerade auch aus seiner Zitatensammlung “Für alle Tage” geht eine ihm ureigene grundpazifistische Haltung  hervor. Iljin hingegen betont den Kampfauftrag zum Guten, daß sich ständig bewähren muß, das latent unter Beschuß gerät, das in Agonie liegt – aber dort nicht belassen werden darf. Letztlich ist dies auch im Sinne eines teleologisch-historischen Prozesses  hegelianisch zu nennen, und es bedarf keines besonderen Scharfblickes, um das Böse, um eine Hemmung zur positiven Entwicklung  entsprechend auf weltlichem Vormarsch zu  verorten. 
” Der welthistorische Vervollkommnungsprozeß läßt die Möglichkeit des Guten, aber auch die Möglichkeit des Bösen” wachsen. (Ludolf Müller)

Iwan Iljin also sagt: “Das Böse findet seinen Eingang in die Seelen leichter, indem es sich hineinschleicht und lockt, als daß es Gewalt antut und verletzt, für das Böse scheint es zweckmäßiger, unter einem Deckmantel zu erscheinen, als seine Widerwärtigkeit kundzutun. Daher üben die Übeltäter, indem sie die Nicht-Übeltäter zu überwinden wünschen, nicht nur Gewalt aus und töten, sondern loben das Böse, tadeln das Gute, lügen, verleumden, sind listig, propagieren und agitieren. Nach der Erlangung der Autorität befehlen und unterdrücken sie, schließen aus und nötigen mit Drohungen, sie verführen, indem sie gefühlsmäßig den Blick, das Gehör und Bewusstsein betören, und indem sie den törichten Instinkten frönen und diese bis zum Zustand leidenschaftlichen Brandes bringen. Sie erwecken in den Seelen das Gefühl der Beleidigung, des Neids, der Feindschaft, der Rache, des Hasses und der Bosheit; sie versetzen den Menschen in belastende, erniedrigende und unerträgliche Lebensbedingungen, sie erkaufen sich Menschen durch Vorteile, Ruhm und Macht; sie bemühen sich, das Gefühl der eigenen Würde, des Respekts und der Treue der Menschen zueinander zu untergraben; sie lehren das Böse durch einfache Wiederholung, schamloses Beispiel, unauffällige Ansteckung, Suggestion, Erschütterung des Willens, Vermittlung verderblicher seelischer Mechanismen; und sie streben danach, das Ganze durch offensichtliches Glück, durch die Straflosigkeit und den Lärm eines satten Festessens zu verhüllen… ” Hier erkenne ich eine direkte Referenz zu Solowjew, der sagt: “Dank der Konzentrierung der Weltfinanzen und eines kolossalen Grundbesitzes in seiner Hand konnte der Antichrist jetzt die Sozialreform durchführen – zur festen Herstellung der grundlegenden Gleichheit für die gesamte Menschheit: der Gleichheit des allgemeinen Sattseins.”
Und weiter Iljin: “Die boshafte Gewalt und der Mord verdichten natürlich die widerwärtige Atmosphäre dieses boshaften Dahinschreitens, doch die Hauptmanifestation des Bösen und seine verderblichste Folge bleibt eben die qualitative Pervertierung und architektonische Verwesung des lebendigen Geistes.”