Freier Wille

Wladimir Solowjew: “Die Augustinianer erklärten (die Willensfreiheit) so: Die wirkende Gnade Gottes gibt den Erwählten umsonst eine so hohe Freude am Guten, daß es auf sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt; so wird die Zustimmung der Erwählten zum Willen Gottes durch das Wirken der Gnade zu einer absoluten Notwendigkeit, was jedoch die Freiheit nicht aufhebt, da der vernünftige Wille dennoch erwägt und mit sich zu Rate geht, ob er sich zur Zustimmung oder zum Widerstand entschließen solle; da aber sein Entschluß durch die wirkende und ausreichende (sufficiens) Gnade bereits vorherbestimmt ist, so kann es hier keine Freiheit im eigentlichen Sinne, sondern nur eine deutliche Bewußtheit des Wollens und Handeln geben.”

Übertragen auf die gedankliche Disposition des Idealismus:
Aus dem Gesagten läßt sich somit auf eine Freiheit in der Unfreiheit schließen. Tatsächlich aber kann diese dann hier zugleich eine Unfreiheit in der Freiheit genannt werden:
Denn zwar ist die prädestinierte Handlung als eine Unfreiheit per definitionem zu betrachten, doch meint diese zugleich den dialektischen Verwirklichungsweg des Prinzips der Freiheit selbst, weil das höchste Ziel seiner Qualität nach Freiheit ist und sich zuletzt ja alles diesem Ziel unterwirft (da nichts außerhalb dieses Telos existieren kann). Die vermeintliche (meist unbewußte) Auflehnung gegen dieses Prinzip könnte als individuelle Freiheit (im Sinne einer sporadischen, subjektiven Befreiung, also einer negativen Freiheit) identifiziert werden, hat dabei aber nur äußerst nachgeordneten Rang, weil sie schließlich den Duktus der umfassenden Gerichtetheit und Bestimmung nie zu verlassen im Stande ist. Der Telos drängt mit allem, auch seinen inneren dialektischen Wendungen zum einzigen Ziel der völlig verwirklichten Freiheit als Endbestimmung. Bewußtheit des Wollens und Klarheit über diesen Vollzug meinen indes nun die eigentliche Freiheit, weil diese Bewegung von wachsender Aneignung und Angleichung an das freie Prinzip Zeugnis gibt. Dies also bezeichnet dann eine positive Freiheit (zum Ziel).

Diese ‘Unterwerfung’ kommt auch in Solowjews Wort über Spinoza deutlich zum Ausdruck: “Spinozas Weltanschauung ist der Typus des reinsten ‘geometrischen’ Determinismus. Die Erscheinungen physischer und psychischer Art sind mit unbedingter Notwendigkeit durch die Natur des ausgedehnten und des denkenen Wesens bestimmt. Da dieses Wesen aber in Wahrheit EINES ist, so besteht und geschieht in der Welt alles kraft EINER allgemeinen Notwendiglkeit, bei der jede Ausnahme einen logischen Widerspruch bedeuten würde. Alles Wollen und Handeln des Menschen geht notwendig aus seiner Natur hervor, die selbst nur ein bestimmter und notwendiger Modus der einen absoluten Substanz ist. Die Vorstellung von der Freiheit des Willens ist nur ein Trugbild der Phantasie in Ermangelung von wahrer Erkenntnis.”

Die Gewißheit zur Erkenntnis ist aber die Entwicklung der eigenen Freiheit zur höchsten Bestimmung – und zugleich ist die Avisierung dieses Zieles Unterwerfung – freilich eine Unterwerfung im anderen als im üblichen Sinne, nämlich in Opposition zur durchweg irrtümlichen Welt-Disposition.