C.G. Jung, Anthroposophie

C.G. Jung: “Allerorts erhebt sich die Frage nach Weltanschauung, nach Sinn von Leben und Welt. Zahlreich sind auch die Versuche in unserer Zeit, rückfällig zu werden und Weltanschauung ältesten Stils zu treiben, nämlich Theosophie, mundgerechter Anthroposophie. Wir haben das Bedürfnis nach Weltanschauung, jedenfalls hat es die jüngere Generation. Wenn wir uns aber nicht rückwärts entwickeln wollen, so muß eine neue Weltanschauung jeden Aberglauben an ihre objektive Gültigkeit von sich abtun, sie muß sich zugeben können, daß sie nur ein Bild ist, das wir unserer Seele zuliebe hinmalen, und nicht ein Zaubername, mit dem wir objektive Dinge setzen. Wir haben Weltanschauung nicht für die Welt, sondern für uns. Wenn wir nämlich kein Bild von der Welt als Ganzem erschaffen, so sehen wir uns auch nicht, die wir doch getreue Abbilder eben dieser Welt sind. Und nur im Spiegel unseres Weltbildes können wir uns völlig sehen. Nur in dem Bilde, das wir erschaffen, erscheinen wir. Nur in unserer schöpferischen Tat treten wir völlig ins Licht und werden uns selber als Ganzes erkennbar. “

Ein Wort hier zur Theosophie: Sie ist dann nicht bloß Weltanschauung, wenn sie ein ewiges Weltwissen bewahrt. Weltwissen aber gibt Auskunft über unsere eigentliche Seins-Disposition und ist notwendig, um ihre im Transzendenten liegende Voraussetzung (samt ihrer evolutorischen Bestimmung) zu klären. So malt nicht unsere Seele dies hin, sondern umgekehrt dies Weltwissen gibt uns ein Bild von unserer Seele und unserem eigentlichen Selbst. Und dies wissenschaftlich zu beschreiben, ist eine Aufgabe, die noch in der Zukunft liegen mag, das Urwissen hierüber – das mythologisch verkleidet ist – soll sich aber legitimieren zur zeitgemäßen und zukunftsorientierten Sprache. Es soll vorausgesetzt werden – hier ist Jung Recht zu geben, daß dies jenseits dogmatisierter Sätze geschehen mag, für die möglicherweise eine zwiespältige Herkunft herzuhalten hat. Eine Entmythologisierung weist so tatsächlich den Weg zur Bestimmung und eröffnet erst das große – lebbare – Wunder, das unter dessen Gestus und Sprache ganz eingekapselt und gemindert bleiben muß.