Furore Eroico


Werner Beierwaltes über Giordano Bruno: “… denn die Liebe (als einer Form wollender Intensionalität ) ist es, die den Intellekt bewegt und antreibt und ihm wie eine Leuchte vorangeht. In diesem Sinne wird Liebe als ein ‘impeto razionale’ gedacht: als das im suchenden und fragenden Denken auf das ihm selbst verborgen-immanente Ziel Hintreibende, zu Erleuchtung und Einung führende. Liebe macht nicht blind, sie erleuchtet, klärt und öffnet (vielmehr) das Denken, läßt es Alles durchdringen. Liebe stiftet als eine derart auf Einheit und Schönheit bezogene die durchgängige Einheit der sinnlichen und geistigen Vermögen des Menschen: der sinnlichen Wahrnehmung, der Einbildungs- oder Vorstellungskraft, des Verstandes, der Vernunft (des Intellektes) und des Geistes. …
Wenn also Liebe das dem Denken immanente Bewegungsprinzip ist, dann zeigt sich daran, daß Brunos Grundbegriff ‘furore eroico’ oder ‘entusiasmo’ gerade keinen irrationalen Akt meint, kein ‘Vergessen’, sondern eine auf den Grund des Selbst und des Seins insgesamt rückführende ‘Erinnerung’ (memoria). Erkenntnis steht universal unter einem conjecturalen Vorbehalt: Wie die negative Dialektik das über den Begriff hinaus seiende An-Sich-Sein des Einen lediglich vom Endlichen her ausgrenzt, so ist auch ‘Erinnerung’ kein direkter ‘Zugriff’. Sie hat in dem Bereich der durch Zeit bestimmten welthaften Unendlichkeit die Spuren der Ideen (umbra ideales), d.h. das, was vom Absoluten oder wahren Unendlichen als Erscheinung sich zeigt, zu entdecken und auf seinen paradigmatischen Grund zurückzuführen; die ‘Schatten’ oder das aenigmatische Sich-Zeigen von Wahrheit oder Schönheit im Bild des Ur-Bildes haben eine vermittelnde Funktion: umbra (als vestigium lucis) visum praeparat ad lucem. Diese das Absolute im ‘Schatten’ bewußtmachende Erinnerung führt also gemäß dem Vernunft und Affekt einenden ‘furore eroico’ nicht zu einer emotional verdeckenden, sondern zu einer Sinnlichkeit und das Denken vom Grund her klärenden Erleuchtung.”

Man kann in diesem Kontext etwas von der Libido im C.G.Jung‘schen Sinne – als im umfassenderen Sinne einer (das Feinstoffliche einschließenden) psychischen Energie – anfügen, nämlich als der Lebenskraft, die zuvorderst erhält, obwohl sie potentiell zur Daseins-Steigerung, also zum Hinausgang aus dem Erhalt befähigt und derart schließlich intendiert ist. So ist sie jedoch in die Bildlichkeit begrenzt durch Befrie(dig)ung und Pragmatisierung ihrer eigentlichen Potenz gerade durch Zeugung im Biologischen, man könnte auch sagen: durch ‘Entladung’ der Libido, durch als Katharsis verstehbare ‘Heilung’ vom steigenden Furor, wenn auch nur vorübergehender Art, was zeigt, daß jene Steigerungs-Teleologie sich offenbar zwar wiederholt im Weltlichen verfängt, aber tatsächlich in der Bestimmung weit über jenem liegen muß: Denn eigentlich soll der Furor immanentes Lebensmotiv werden, ein gesteigertes Sein zum Gegensein gegen ein pragmatisiertes (biologisches) Sein mit durchwirkender Kraft – und Lust- Akkumulation hervorbringen. Dies energetische Wirken und Durchwirken erfährt fortwährende Erhöhung, lebenspraktisch gerade auch durch übersteigende Betätigung in Kunst und Eros und Ästhetisierung – vor allem aber in der Verschiebung der aufnehmenden Physiologie zu anderem Wahrnehmen und Sein selbst- es kommt zu einer sich immer weiter steigenden Verfasstheit in der Alltäglichkeit zur Erreichung steigerungsfähiger Dispositionen, somit sprechen wir von einer umfänglichen Energetisierung der ganzen Lebensrealität. Diese ‘Liebesbewegung’ kennt keine Exklusion, nimmt dabei alles Sichtbare als exemplarisch und vorläufig, sieht das Ziel immer weit hinter der (geliebten) Erscheinung wie durchleuchted. Sie ist ihrem Wesen nach ganz purusa, denn sie nimmt alles geistig, den Körper nur als sein Komplement des im Körperlichen zu Umfassenden, was eigentlich das geistige ist, und was sohin der Erweiterung harrt. Das weibliche prakriti hingegen ist Verwirklichung als den purusa begrenzende Objektivierung als Kollaps-Funktion der Optionen und Apriorien. In dem Halten der Form und dem Opfer der Kraft hierfür liegt nun alle Bestimmung zum Bild, zum Weltlichen- und in dieser Divergenz das ganze – so mannigfaches Leiden gebärende – Spannungsverhältnis dieser beiden Polaritäten.