Das Lebendige, das Alte

Friedrich Schlegel: “Warum sollte nicht wieder von neuem werden, was schon gewesen ist? Auf eine andre Weise versteht sich. Und warum nicht auf eine schönere, größere? … Sie (die Menscheit) muß, wie die Sachen stehn, untergehn oder sich verjüngen. Was ist wahrscheinlicher, und was läßt sich nicht von einem solchen Zeitalter der Verjüngung hoffen? – Das graue Altertum wird wieder lebendig werden.”

Der Mensch aber soll täglich wachsen in dem Bewußtsein, daß er Teil ist dieses ganzen angenommenen Ideals. Hierin muß er auf jenes schauen und klar darüber sein, was er in dieser Hinsicht erlangt hat. Alles was er bisher getan, im Guten wie im Negativen, im Konstruktiven wie im Destruktiven, im Gelingen wie im Scheitern bildet sich zu einer Summe der Person nach Tat und Erfahrung, all dies Vergangene hat ihn kausal an die Stelle versetzt, an der er sich aktuell umso schlüssiger und sinnhafter befindet- und dieses Befinden ist Mittel und Ausgangslage für seinen weiteren Zweck, der stets ein Foranschreiten bedeuten soll. So läßt sich also sagen: es ist alles Biographische nur dafür geschehen, daß eine Stufe erwirkt ist, von der die nächste genommen werden kann. So kann auch Angelus Silesius sagen, man habe von einem Licht zum nächsten zu wandeln. Freilich ist hier ein anwachsendes Leuchten gemeint, das einer Zweckbestimmung zur ganzen Erhellung (als Totalität des Seins) folgen soll, als Licht vom Licht des Einen – zur Durchleuchtung des Eigenen zum Ganzen. Umso größer indes ist die Versäumnis, wenn also diese biographische Intention nicht in ihrer Sinnhaftigkeit bewußt und beachtet wird und so ohne Impetus zur ‘Verwertung’ bleibt.
Der Mensch ist im Kern – je tiefer vor allem dieser betrachtet wird – insbesondere für die Biographie einer Inkarnation sich wesenhaft gleichbleibend, er bildet aber dieses, was er schon immer war, immer besser heraus. Gleichsam einer Skulptur, die man aus der rohen Masse herausarbeitet. Meister Eckhart sagt: “Gott hat einen Halt, ein Bleiben in seinem Sein; und deshalb geht es nicht anders; als daß man abschäle und abscheide alles, was der Seele zugehört: ihr Leben, ihre Kräfte und ihre Natur, das alles muß hinweg, und sie stehe in dem lautern Licht, wo sie mit Gott ein Bild ist.”
Das ‘graue Altertum’, es ist auf die Person übertragen dessen tiefster Besitz, jenes, was sie schon immer war, und in seiner zeitübergreifenden Wahrheit kommt dieser Besitz zu aktualstem Bezug und befreit den Menschen seiner Minderungen – so nähert jener sich stets nach oben, nach dem Ziel. Meister Eckhart: “Nun heißt es: Er ist innen gefunden. Das ist innen, was im Grunde der Seele wohnt, im Innersten der Seele, in der Vernunft, und nicht ausgeht und auf kein Ding draußen schaut.” Dies ist das lautere, reine und ewige Sein.