Das Kreuz mit der Ambivalenz

Aphorismus:
Das Kreuz meint eine Vertikale aus der Horizontale der Dialektik.

Hiernach wird ersichtlich, in welchem Lichte  das ganze Wirken Jesu zu betrachten ist, und inwiefern von Beginn die Kirche auf die eine oder andere Art -als Institution in der Welt (mit  einem Lehrer und einer Lehre nicht von dieser Welt) – gegen diesen Satz gehandelt hat, man kann sagen-gehandelt haben muß.  Nietzsche sagt zu Recht: ” Aus den christlichen Antrieben…hat nun aber schon von jeher ein christlicher Kampf gegen die wirkliche Christenheit stattgefunden, die da ist in der Macht der Kirche und in dem tatsächlichen Sein und Verhalten der Menschen, die Christen heißen.” (Karl Jaspers über Nietzsche)
Die Problematik liegt  darin, daß die eigentlichen, die jesuanischen christlichen Antriebe in ihrer Bedeutung als Überwindung des weltlichen dialektischen Prinzips  für diese Welt nicht dauerhaft institutionalisierbar sein können. “Todfeindschaft gegen die Realität”: “…Der ganze Begriff des natürlichen Todes ..fehlt, weil er einer …bloß scheinbaren Welt zugehörig (ist). Die Zeit, das physische Leben und seine Krisen sind gar nicht vorhanden für die Lehrer der ‘frohen Botschaft.’  “(Jaspers über Nietzsche)
Andererseits erhebt die Lehre einen missionarischen, auf diese Welt gerichteten Anspruch einer globalen Bewußtseins -Evolution und der Kunde von einem bereits in der Welt zu beginnenden  Erlösungsprozeß mit dem Ziel der  ontologischen Erhöhung nach dem Tode, so daß dieses (eigentlich weltüberwindende ) Programm -mit seinen ethischen Implikationen, die im Ausgang aus dem Weltlichen eine radikale Anfälligkeit, gar eine Aufforderung zur Selbstauslöschung aufweisen – trotzdem in eben jener zu überwindenen Welt als förderungwert verstetigt werden soll . Gäbe die Kirche  diesen im Weltlichen verfestigten Wahrheits- und Stellvertreteranspruch durch eine  wirklich konsequente Nachfolge auf, könnte  sie den jesuanischen Telos nicht verstetigen und würde ihn vom globalen Anspruch höchstens an den Einzelnen delegieren, was exklusive Welftflucht, Klausur, und also persönliche Erlösung Einzelner ohne Wirksamkeit nach Außen bedeutete. Will sie aber ihren globalen Anspruch aufrechterhalten , muß sie hierfür  einen für diese Welt kompatiblen, also in seiner jesuanischen Radikalität abgeschwächten  Weg aufzeigen. So kommt es zur religiösen Praxis, die sich in der Hauptsache durch die Pragmatik in Form eines ethischen Handelns bewähren soll, das aber kaum noch an  die  Ernsthaftigkeit und den Durchsetzungswunsch der Lehre selber gekoppelt ist. Dies führt prinzipiell zu Gemeinschaften und Gemeinwesen, die virilen und unzweideutigeren Kräften nichts ausreichend Selbstbehauptendes entgegensetzen können. So lebt man weder Jesus’ Lehre konsequent nach (und überwindet die Welt und das Leben zum Jenseitigen), noch ist die Bereitschaft vorhanden, nun in der Welt (in einer Abmilderung) für die Richtigkeit der Lehre und ihrer Zielsetzung zu streiten und sozusagen Einschränkungen in der Altruistik (und ihrem Aspekt der Selbstaufgabe) zu vollziehen, um so das  eigene Überleben der Lehre zu sichern. Denn entscheidend wird hier, daß  man  die  altruistischen Maßgaben  sozusagen als einzige Reminiszenz (fast wie einen Ablaß) an den verlorenen umfassenden Glauben (“Folge mir nach” und “Du sollst keinen Gott neben mir haben”) – versteht. So fehlt die Konsequenz, in wirklicher jesuanischer Tradition zu stehen, andererseits aber befördert man die gebliebenen altruistischen Maßgaben mit einer solchen Ambition, daß sie zu einer Schwächung  des Eigenen, und schließlich zu einem Zurückweichen vor den anderen Konzepten  führen müssen. “So machen sie es (vom ersten Beginn an) nicht richtig, aber sie machen es im Falschen auf die Weise  ‘richtig’ genug, daß sie sich selber als Kirche, die sich für diese Welt -missionarisch-zuständig fühlt, die eigene Zukunft nehmen.” In diesen Ambivalenzen liegt die ganze Schwierigkeit der Behauptungsfähigkeit der christlichen Kirche begründet.