Mangel des Menschen, Nietzsche

Karl Jaspers: “Nietzsche leidet am Menschen in einem Grade, daß er für Augenblicke in der ‘schwärzesten Melancholie’ versinkt. Der Mensch ist im Gegensatz zu den Tieren, deren jedes in seiner Wohlgeratenheit einem feststehenden Typus gehorcht ‘das noch nicht festgestellte Tier’, darum in der Unbestimmtheit seiner Möglichkeiten, in seiner Unterschiedenheit schon als sein bloßes Dasein wie eine Krankheit der Erde.
Doch dieser Mangel des Menschen ist gerade dann seine Chance. Er ist noch nicht, was er sein kann; er ist mißraten, aber er kann noch alles werden.”
In der Tat muß die Bestimmung des Menschen außerhalb eines offensichtlichen und mit der hiesigen Existenz verkoppelten Zustandes angenommen werden, der lediglich zum Scheitern bestimmt wäre, sonst könnte der Mensch nicht  ein “Darüberhinaus” vermuten und suchen,  nicht dorthin streben,  sich nicht dorthin denken. Dieses -optimistische- “er kann noch alles werden”  Nietzsches erstrebt die übermenschliche, und somit aber konsequenterweise transzendente Perspektive.  Ein “Menschsein  an Sich”, in Anlehnung an das kantische Ding an Sich,  eine  vor bzw. über den Sinnen liegende Außensicht, die mit zunehmender Einlassung aber -je nach Blickwinkel  – neuplatonische  oder quantenphysikalische  Gestalt gewinnt: ein  Bild eines außerhalb des subjektiven, raumzeitlichen und kausalen Für Sich Seins, ein Sein jenseits  der bekannten körperhaften personalen Identität.
Daher ist die Frage nach der eigentlichen Bestimmung eine elementare und gilt für die Biographie in toto, was zugleich die Nicht -Bestimmtheit und Unabgeschlossenheit zum lebenslangen Begleiter werden läßt. Von diesem dauernden Zustand der Unsicherheit und Unklarheit aus soll  der Mensch  zu Überwindung und Konsolidierung  finden, diese liegen aber stets über seiner subjektiven Existenz (somit über der Schwelle des Todes), daher das Erkennen der unklaren Kontur  eine existentielle   Skepsis gegenüber dem eigenen Stand und Verfasstsein ist und notwendigerweise auch zur Skepsis gegenüber jeder von außen  herangebrachten Aussage über raumzeitliche Bestimmung  führen muß.  Die grundlegende Haltung hierzu wird die Negation.  Die Preisgabe der Frage nach der Bestimmung, das Sich Wähnen im Abgeschlossenen (personal, wie evolutionär und global /was z.B. Signum der christlichen Auffassung ist) , die in der Regel   in der Nicht-Reflektion über die Bestimmung fußt, ist nicht zu halten , weil sie auch die Preisgabe der individuellen biographischen Möglichkeit bedeutet, bzw. ein Sich – falsch -Verhalten gegenüber der Anforderung des Seins selbst darstellt.
Existenz, Wahrheitsgewinn  und  überpersonaler  Telos können  nur  über  kritische Hinterfragung der Seinsfaktoren, über autarke Lernprozesse  und “aufsteigende” Integration der  in der Komplementarität der vom bloßen Dasein zum Über-Sein fungierenden Faktoren ihrer eigentlichen Funktion nach erfasst werden. Die Inkarnationen eines Menschen bieten hierzu die Möglichkeit.
Nietzsche hingegen  vollzieht eine solche Synthese ” zum Eigentlichen” an keiner Stelle.
Karl Jaspers: ” Er gewinnt nicht die Ruhe einer Wahrheit .. .wird nihilsitischer Zersetzer, dann wie ein Pathetiker und Prophet- und verwirft doch selbst dieses alles, will es gerade nicht sein, sondern überwinden. Aber wohin überwinden? Das bleibt für immer dunkel. Denn die Spannung nahm gegen Ende nur noch zu und das letzte Wort ist von ihm nie und nirgends gesprochen.”