Karl Jaspers: “Was wir in den Wissenschaften als Verstehen dem Erklären gegenüberstellen, ist also dieses Verstehen des Verstehens selber, ist im Besitze seiner selbst und des Verstandenen; das Verstehen des Verstandenen ist im Blick auf jene Wirklichkeit ihr selbst in der Blässe der eigenen Wirklichkeit fern. Das ursprüngliche Verstehen entscheidet gut und böse , wahr und falsch, schön und häßlich; das Verstehen des Verstandenen steht dem in einem Abstand der eigenen Unverbindlichkleit gegenüber und unterscheidet nur richtig und unrichtig im Treffen oder Nichttreffen des einst in der Wirklichkeit gemeinten Sinns. Das ursprüngliche Verstehen vollzieht in jedem Augenblick Wertungen, das Verstehen des Verstandenen suspendiert die eigenen Wertungen, je richtiger es wird (Max Weber).”
Mit dem Gesagten läßt sich -neben seiner Relevanz bezüglich gegenwärtiger systemisch geförderter Unverbindlichkeiten – auch trefflich ein Problem spirituellen Lebens und besonders der theistischen Tradition beleuchten.
Spiritualität, Zugang zum Mythischen heißt mitten darin sein, darin teilhaftig leben und ‘es selber sein’. Nachfolge als Verstehen in sekundärer Art eröffnet aber keine Teilhabe, im Gegenteil, zwingt den Menschen zu einem Nachvollzug einer Übersetzung -denn hier ist das Verstandene nicht mehr in Deckungsgleichheit zu bringen mit einem schlichtem Wissen, sondern nur mit verstehendem Eigenvollzug. Verstehen des Verstandenen wäre hier ein Verstehen einer Erklärung über ein anderes Medium, als wolle man die Eigenschaft des Wassers von Außen beschreiben,was möglich ist, aber keinen Eindruck seiner Beschaffenheit gewährt. John G. Bennett sagt: “Wissen ist der Inhalt meines mind, aber Verstehen ist die Gestalt meines Willens. Mein Verstehen ist Besitz meines Ich. Wenn irgendetwas, das ich in meinem Leben gelernt habe, nach meinem Tode bleibt, dann ist es mein Verstehen, nicht mein Wissen. Wissen kann von einer Person auf die andere übertragen werden, nicht jedoch Verstehen.”
Insofern gibt es wohl ein “Richtiger-Werden” in der Außensicht, gerade beim spirituellen Vollzug liegt aber die Bedeutung aller Aussage in der persönlichen Erfahrung, diese definiert gar das zu Erfahrende und setzt oder kreiert erst ihre Richtigkeit – ist dabei Ausdruck der sinnhaften ,verstehenden Biographie, hieran gekoppelt erscheinen auch Wille und Freiheit in ihrer besten Bedeutung: Finde deinen Auftrag und lebe ihm gemäß! Einmal mehr handelt es sich um einen zutiefst lebensphilosophischen Ansatz: Spiritualität, echtes Philosophentum fordert und verändert die ganze Person, das ganze Selbst; sie erschöpft sich keineswegs im Sprechen über einen Gegenstand. (Nach C. Tornau) Konkreter: Sinn besteht dann in der Rückführung des ausschnitthaften Selbst auf die Gesamtheit des Seins (im Selbstein der raumzeitlichen Biographie). Insofern suspendiert das Verstehen des Verstandenen nicht die eigene Wertungen, sondern das Verstehen suspendiert das Verstehen des Verstandenen von jedem Anspruch seiner gültigen Proklamationsfähigkeit.