Lebensseite

“Der Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem Schmerz gehört auf die Lebensseite, nicht auf die Seite des Todes. Der Schmerz ist ein Notsignal der Lebensgefährdung, er existiert nur, solange die Signalgebung einen biologischen Sinn hat. Unmittelbar vor dem Tode dagegen tritt ein Abfall, eine Befriedung ein.” (G.Barbarin)

Hierzu betrachte man die Pose Jesu am Kreuz. Sie bietet eine Anschauung , eine Aussage über das Leben, eine Darstellung über die Phase maximalen Schmerzes und der Schmach zum Tode, aber eben noch ganz der Lebensseite zugehörend. Wie auch mit der Symbolik der Geburt handelt man so gar nicht von höherer Welt und Wirklichkeit, bietet dann aber umso mehr eine Anschauung über das petrinische Dogma und die Form seiner ganzen weltlichen Zuwendung. Das Symbol der Auferstehung entfaltet hingegen kaum die ihm eigene Kraft, was sich mit dem (für das Religiöse allerdings fatalen) Anwurf trifft, das Numinose solle im Christentum kein wahres Interesse haben.
Jenes Numinose bleibt tatsächlich ganz entzogen, es gehört prinzipiell gar nicht in das Blickfeld, in die Zielvorgabe der Anschauung als gegenwärtiger Teilhabe, nicht einmal in den Radius des Gedachten oder zu Denkenden. Hierüber zu handeln ist vom Dogma her gar unzulässig. Nichts ist also noussphärisch durchdrungen, alles bleibt in der Hiesigkeit und Anschaulichkeit. Statt mit Erkenntnis -man bedenke etwa im Buddhismus oder in der typischen Nahtoderfahrung die Korrelation von Licht (als numinosem Ens) und Wissen – handelt der Christ (der Theist im Allgemeinen) mit Devotion, Bittstellung und Verharrung.
Zuletzt trennt diese Anschauung den Menschen (nicht-)tätig von seiner ureigenen Natur (der -schaffenden- Teilhabe) und manifestiert so ja erst die als inferior erachtete Weltlichkeit in ihrer vollen Tragweite. Der gnostische Jesus hingegen weist mit seinem Diktum, es sei ein Licht in jedem Lichtmenschen, auf die eigentliche Potenz zur Erkenntnis der eigenen Herkunft, der Verortung und Teilhabe im Höheren, einem prinzipiellen inneren Heilsein also trotz aller Geburt und allem Tod. Der Schmerz hat hier gar kein Interesse mehr. Und von dort der Schritt etwa zur katharischen Ansicht: Jesus ist von der Art ein Wesen wie wir selbst, er ist nicht Erretter, Erlöser, er ist (belehrender) Besucher der Geist-Hypostase, die unser aller Herkunft ist, daher ist er Bruder, so wir uns nur unserer eigentlichen Verortung erinnern mögen. Dies gilt innerhalb des Kirchen-Dogmas selbstredend als platonisierende Häresie.
Und weiter: Die dogmatisch-spirituelle Reduktion führt auf die Notwendigkeit der Nachweisbarkeit des Telos durch seine Hinabtransformation im Weltlichen, daher auch die Betonung des Ethischen oder des weltlichen Erfolges als Gnadenerweis. So wie Jesus in Angesicht des Todes den Kopf nach unten richtet, so schaut der Christ ganz zur Dinglichkeit der Welt, betreibt dabei eine doppelte Negation. Harrend und passiv und dem Sterben anheim gegeben kann er in der Welt eigentlich nichts ausrichten, zum Numinosum aber schaut er nicht.