Epiphänomen

C.G.Jung sagt: “Der Zeitgeist ist mit den Kategorien der menschlichen Vernunft nicht zu erfassen. Er ist ein ‘penchant’, eine gefühlsmäßige Neigung, die aus unbewußten Gründen mit übermächtiger Suggestion auf alle schwächeren Geister wirkt und sie mitreißt. Anders zu denken, als man heutzutage eben denkt, hat immer den Beigeschmack des Unrechtmäßigen und Störenden, ja es ist sogar etwas wie unanständig, krankhaft oder blasphemisch, darum für den Einzelnen sozial gefährlich. Er schwimmt unsinnigerweise gegen den Strom. Wie es früher selbstverständliche Voraussetzung war, daß alles, was ist, einstmals aus dem Schöpferwillen eines geistigen Gottes geboren wurde, so hat das 19. Jahrhundert die ebenso selbstverständliche Wahrheit entdeckt, daß alles aus materiellen Ursachen hervorgehe. Heute baut sich nicht die Seelenkraft einen Körper auf, sondern umgekehrt, der Stoff erzeugt aus seinem Chemismus eine Seele. Diese Umkehrung wäre zum Lachen, wenn sie nicht eine der großen Wahrheiten des Zeitgeistes wäre. Es ist populär, daher anständig, vernünftig, wissenschaftlich und normal, so zu denken. Der Geist soll als ein Epiphänomen des Stoffes gedacht werden. Auf diesen Schluß läuft alles hinaus, auch wenn man nicht gerade ‘Geist’, sondern ‘Psyche’ sagt, und nicht gerade von ‘Stoff’, sondern von ‘Gehirn’, ‘Hormonen’ oder von ‘Instinkten und Trieben’ spricht. Der Seele eigene Substanz zu geben, ist dem Zeitgeist zuwider, denn das wäre Ketzerei.”

Der Hinduist sagt: Das einzige, was im Zeitalter des Kali Yuga – dem Zeitalter des Verfalls und Verderbens – zu tun und zu bewirken bleibt, ist die Meditation über den Namen Krishna. Sicher ließe sich so zu C.G. Jungs Ausführung eine Brücke schlagen, denn erstes und oberstes Merkmal epochalen Niedergangs muß die Leugnung des Wesens des Seins selber sein, somit eine Geist- (und Seins-) Leugnung fundamentalster Art – und dabei die Hinführung zu einer Existenz im Falschen, im Irrtum. Diese schreitet in der atheistischen, materiellen Variante zu immer neuen Formen, während die auf ihre eigene Art geistleugnende Attitüde der religiösen theistischen Dogmen anhaltenden und unveränderlichen Charakters ist. So ist zuletzt das Zeitgeistige wie Ungeistige nur in der gedachten Vertikale, in der Vergegenwärtigung des immanenten Hohen zu überwinden, der Weltenlauf selbst aber ist in der absteigenden Epoche so sehr in einer negativen Dynamik befangen, daß er aktual und sichtbar keineswegs zum Guten geändert werden könnte.