Gedanken zu Evola

Julius Evola: “Wesensbestimmend für die Methode, die wir, im Gegensatz zur profanen-empirischen oder kritisch-intellektualistischen Betrachtung der modernen Forschung ‘traditionsgebunden’ nennen wollen, ist die Hervorhebung des universalen Charakters einer Lehre oder eines Sinnbildes, indem es mit entsprechenden Elementen anderer Traditionen in Verbindung gebracht wird .”
Hier schon könnte der Eindruck entstehen, die in diesem Sinne verstandenen Traditionen – die ich  allesamt in ihrer Wesensart als gnostisch bezeichnen will –  wären ihrem Verständnis nach von damaliger Warte nicht auf der Höhe ihrer Zeit gewesen bzw. sie stünden in einem Gegensatz zur Gegenwart und ihrer kritischen Methode. Ein Zitat von Hans Leisegang: “Die Gnostiker waren zu ihrer Zeit durchaus moderne Menschen. Die Gründer der einzelnen Sekten waren Gelehrte und Philosophen, die die ganze Wissenschaft ihrer Zeit in sich aufgenommen hatten, und ihre Weltanschauung stand in keinem Widerspruch zur wissenschaftlichen Erkenntnis, die sie nicht abwiesen, in der sie auch keine Gefahr für den Glauben sahen, sondern die sie nach der religiösen Seite hin ergänzten und vertieften.”
Dies offenbart einen gewichtigen Aspekt  für das Verständnis jenes Traditionalen, das eben ein in der Relation zur Moderne, zur Empirie abgesetztes Verhältnis gar nicht zulassen kann, weil die angesprochene Universalität der ‘reinen’ Lehre nur im Kontext ihrer Ratio-tauglichen Bewährung  und unter Anlegung aller  modernen Instrumentarien und aller kritischen Methode eine ihr ja ureigen inhärent zeitlose und sich höchst logisch entfaltende  Gültigkeit in Anspruch nehmen muß. Es existiert dabei  kein Widerspruch zwischen Tradition und Moderne, zwischen Mythos und Ratio (mythisierendem und rationalem Mensch), zunehmend auch keine Dualität von Geheimwissen und Profanwissen(schaft). Alles kommt und fließt zusammen in das Werk, den Vollzug der Rückexplikation der inkorporierten Hypostase.

Evola: “Damit wird das Vorhandensein eines Bedeutungsgehaltes festgestellt, der höherstehend und ursprünglicher ist als jeder seiner unterschiedlichen und doch gleichbedeutenden symbolischen Ausdrucksweisen , wie sie den Kulturen der verschiedenen Völker eigen sind.”
Prinzipiell ein Plädoyer zur Überwindung des Symbols?  Die symbolisierte Kolportage meint ja in gewisser Hinsicht schon eine Entfernung – eine Ent-Sinnung, eine Scheidung. Das Symbol  wird zur  Repräsentanz ohne die Möglichkeit zum verlässlichen Rekurs , es steht alsbald für sich selbst und entbehrt des Inhaltes, – es bedarf gar keines Inhaltes, keiner Korrelation zu seinem (eventuell gar nicht wesenhaft wahren) ursächlichen Gehalt, da es schon aus sich selbst heraus nur als veräußerte Form lebensfähig ist  und  hierbei aber die Zugänge zum Eigentlichen durch die Allgemeinheit und Unbeweglichkeit sowie die  Fraglosigkeit seines Charakters abblockt.

Weiter Evola: “Außerdem kann die eine Tradition mehr als die andere einem gemeinsamen Bedeutungsgehalt vollkommenen und durchsichtigen Ausdruck verliehen haben: so bildet dieses vergleichende Verfahren die fruchtbarste Methode, Ideen zu erfassen und in metaphysischer Reinheit zu begreifen.”
Diese Aussage kann allerdings nur echte Gültigkeit beanspruchen, indem man proklamiert, daß zu keiner Zeit und an keinem Ort die eigentliche Intention je in Reinform ausgesprochen wäre. Evola schont wohl  alle Offenbarung, er sieht offenbar nicht, daß Offenbarung schon im Beginn irrigen Charakters  und Inhaltes   (oder schlicht an verschiedenerlei Intention gebundener Betrug) sein kann. Zudem ist gerade geschichtliche Religion schon in ihrer ursächlichen Kanonisierung  ein Anthropomorphismus, Menschenwerk, oder gar ein Irrweg, der so falsch beschritten wurde, daß es müßig wäre, in diesem Labyrinth zurückzugehen um wohl doch nie  an der richtigen Stelle herauszufinden. Die Katharer sagten über das christliche Dogma: “Die Kirchenväter stehen schon ganz in der falschen Richtung und werden allesamt abgelehnt, sie sind wie die Vogelfänger, die Tierstimmen nachahmen” (A. Borst)
Zur Reduktion der Religion auf ihren esoterischen Kern (so sie überhaupt einen brauchbaren esoterischen Kern aufweist): Man erwehrt sich mitunter nicht des Eindruckes, daß man eine spirituelle Vakanz im Nachhinein esoterisch  zu verbrämen gewillt ist und einiges allegorisch so weit herbeibiegt, bis das Ganze eine nachträgliche tiefere Rechtfertigung erhält (wohl auch um eigene kulturelle Präferenzen gegen Kritik zu konsolidieren) – dabei bedeutet  die Reduktion der Religion auf ihren (wahren) Kern eben zugleich nicht weniger als die Zurückweisung des Dogmas, das aber diese Religion schon so weit ausmacht, daß es gar als alleine konstitutiv erachtet werden muß. Was aber etwaige postkanonische spirituelle  Rudimente betrifft: Von einem Rest einer Ruine auf das ursächliche Haus zu schließen, muß wohl ab einem gewissen Grad der Zerstörung ganz  unmöglich werden.
In diesem Sinne auch Schopenhauer: “Die Versuche, den Theismus vom Anthropomorphismus zu reinigen, greifen, indem sie nur an der Schale zu arbeiten wähnen, geradezu sein innerstes Wesen an: durch ihr Bemühen, seinen Gegenstand abstrakt zu fassen, sublimieren sie ihn zu einer undeutlichen Nebelgestalt, deren Umriß, unter dem Streben, die menschliche Figur zu vermeiden, allmälig ganz verfließt; wodurch der kindliche Grundgedanke selbst endlich zu nichts verflüchtigt wird.”

Felix Herkert: “Man könnte das hier beschriebene’traditionsgebundene’ Vorgehen als komparatistisch verfahrende Hermeneutik der Einheit bezeichnen, insofern es 1) ein ‘vergleichendes Verfahren’ ist, das jedoch 2) auf die ‘Hervorhebung des universalen Charakters’  eines jeweiligen Symbols bzw. einer Doktrin abzielt. Den privilegierten Gegenstand dieses komparatistischen Verfahrens bilden Symbole, Mythen, Heilige Schriften, Weisheitstexte, aber auch als folkloristisch zu bezeichnende Überlieferungen verschiedener Traditionen, die in ihrem Wesen als Ausdruck überzeitlicher Wahrheiten betrachtet werden. Als eigentlich erfahrungsmäßige Basis dieser Schriften, Mythen und Symbole wird eine überrationale, als intuitiv zu bezeichnende Erkenntnis postuliert, deren Veräußerlichung sie letztlich darstellten.”

Auch dieser Satz erscheint mir zwar berechtigt (störend ist allerdings die Weigerung zur Evidenz der modernen Naturwissenschaft sowie  Naturphilosophie oder Wissenschaftstheorie),  und doch ist er gleichzeitig zu diffus, zu nivellierend und relativistisch und daher nicht zielführend genug . Die Trennung verläuft schließlich nicht alleine zwischen  rationalistischer Moderne und Glauben (man soll zumal wissen, nicht glauben), sondern gerade  auch zwischen Glauben und FALSCHEM Glauben, als dessen Ausfluß gerade seine  uns heute so stark befassenden säkularen Heilsderivate zu bezeichnen sind! In diesem Sinne schließe ich mich der elementaren  Kritik  durch Spinoza an (die aber  doch die Evidenz eines allwaltenden Göttlichen in Korrelation  mit der höchsten Vernunft anstrebt, – ich behaupte hier, das gegenwärtig Profane, das  der Traditionale sieht, ist lediglich das unsakralisierte Sanktum, daher kann hier nicht von einem Dualismus oder einem Antonym gesprochen werden! Yirmiyahu Yovel also über Spinoza: “…die geschichtlichen Religionen (vor allem Judentum und Christentum) sind die größten Hindernisse auf dem Weg zu klarer, philosophischer Erkenntnis und allmählicher Einsicht in das Prinzip der Immanenz.” (Im Kontext verstehe ich Immanenz als Immanenz der Transzendenz ) Die rationaliätswidrige Kraft, die Descartes dem ‘Vorurteil’ und der Tradition im allgemeinen zuschreibt, die wie ein Schleier das natürliche Licht der Vernunft verdunkeln, legt Spinoza mutiger und radikaler insbesondere den geschichtlichen Religionen zur Last, ihren Dogmen, Bildern und eingewurzelten Überlegungen. Daher muß aller positiven Philosophie der Immanenz eine Kritik dieser Religionen vorausgehen, um das Bewußtsein von transzendentalen Bildern freizumachen und um für seine Erweckung (oder seine Aufklärung) den Boden zu bereiten, damit es dem Ruf der immanenten Vernunft folge. Mit anderen Worten, Verunsicherung und Skepsis in Bezug auf die geschichtliche Religion sind notwendige Voraussetzungen, um zu wahrer Erkenntnis und durch diese zu einem lebenswerten Leben, ja sogar zur Erlösung zu gelangen.”