Substanz und Eidos

G. Coleman: “Leere, die endgültige Natur der Wirklichkeit. Nach der Madhyamaka-Schule ist Leere die totale Abwesenheit von innewohnender Existenz und von Selbst-Identität in Hinsicht auf sämtliche Phänomene. Zu ihren Synonymen gehören Endgültige Wahrheit, Wahre Wirklichkeit und Soheit. Nach dieser Sicht ermangeln alle Dinge und Ereignisse, sowohl äußere als auch innere, jeglicher unabhängigen wesenhaften Wirklichkeit, die ihre Essenz konstituieren würde. Von keinem dieser Dinge kann man sagen, dass es unabhängig von dem komplexen Netzwerk von Faktoren, die zu seiner Entstehung führen, existiert. Ferner sind diese Phänomene auch nicht unabhängig von den kognitiven Prozessen und begrifflichen Benennungen (mentalen Konstrukten), die den konventionellen Rahmen bilden, innerhalb dessen ihre Identität und Existenz postuliert wird.  Es ist unsere tief verwurzelte Neigung, uns die Dinge als an sich materiell existierend vorzustellen, die uns dazu konditioniert und treibt, eine substanzielle Realität der Dinge und unserer eigenen Existenz wahrzunehmen und danach zu greifen.”

Wikipedia zur Madhyamaka-Schule: “Die Welt und ihre Erscheinungen sind nicht, da sie immer nur aus verursachenden und selbst wesenlosen Bedingungen oder Voraussetzungen hervorgehen und folglich kein eigenständiges Sein in sich tragen. Die Dinge sind ohne Eigennatur (ohne inhärente Existenz) (svabhavata); sie sind letztlich leer (śūnya). Die Leere (śūnyatā) ist aber kein Nichts, denn ein angenommenes Nichts wäre ja auch ein Etwas und somit als ein Sein zu qualifizieren. Somit gibt es weder Sein noch Nichtsein, sondern nur die allen Phänomenen zugrunde liegende Leerheit.”  

 Aus Kausalketten (von Faktoren) gebildete Wirklichkeit kann sich meines Erachtens indes nicht aus sich selbst bedingen.  Ihr Wesen ist vielmehr die Explikation vom Geist, ohne die sie nämlich schlicht keinen Impetus zur Form und Existenz besitzt. Denn was sich selbst konstituiert ist nicht gleichzeitig agens der Ebene der konstituierenden Umstände,  gegenseitiges Bedingen wäre sonst rein Zufälliges und So-Zustandegekommenes, das sich nicht selbst überschaut und im Konstituiertsein kein Selbst oder Wesenhaftes im Sinne einer Essenz (eines Sinnes) hat,  das demnach erst in der Interpretation zu Sinnhaftem erhöht würde, tatsächlich also als nach dem anthropischen Prinzip zu Sinn interpretierter  Zufall zu bezeichnen wäre. Oder anders: Es sei hierzu folgende Frage in den Raum zu stellen: Hat etwas Sinn, weil es ist, oder ist vielmehr etwas, weil es Sinn hat?  Eher ist von einer  Hierarchie der Existenz und ihrer inneren Substanzialität auszugehen (auch ein Bild hat Substanz, nämlich von seinem Impetus her) und so von einem der Kausalitäten hierarchisch beigeordneten apriorischen Sinn (zumal im Monismus, in dem sich schlicht keine Herkunft verleugnen läßt!), der der  Explikation als Anlage zu Grunde liegen muß.  Diese wesenhafte Wirklichkeit ist die Idee. Daß ihre Existenz tatsächlich wiederum in eine ‘Leere’ (im Sinne der Bestimmung einer negativen Theologie) rücküberführbar ist,  ändert schließlich nichts an ihrer konstituierenden Position für die Erscheinungswelt.