Einheit von Leben und Denken

C. G. Jung: “Die psychischen Vorgänge üben auf den vom Reiz ausgehenden Tätigkeitsimpuls infolge des Dazwischentretens der Reflexion eine attrahierende Wirkung aus, so daß letztere vor seiner Entladung nach außen in in eine endopsychische Tätigkeit abgebogen wird. Die ‘reflexio’ ist ein Umwenden nach innen mit dem Erfolg, daß anstatt einer instinktiven Reaktion eine Abfolge von Inhalten oder Zuständen entsteht, die man etwa als Nachdenken oder Überlegen bezeichnen könnte. Damit tritt an die Stelle der Zwangsläufigkeit eine gewisse Freiheit und an Stelle der Voraussagbarkeit relative Unabsehbarkeit der Folgen.

Durch den Reflexionstrieb wird der Reizvorgang mehr oder weniger vollständig in psychische Inhalte verwandelt, das heißt, er wird zum Erlebnis: Ein Naturvorgang, verwandelt in einen Bewußtseinsinhalt. Die Reflexion ist der Kulturtrieb par excellence, und seine Stärke erweist sich in der Selbsbehauptung der Kultur gegenüber bloßer Natur.”

Dies ein Gegenargument gegen bekannte kulturkritische Positionierungen, denn ohne die Reflexion ist (gerade auch neuplatonisch betrachtet) keine Rückwendung des Geistes zu seinen höheren Inhalten und weltteleologischen Zielen: “Das Vollkommene erscheint als die ursprünglich ungetrennte Einheit von Leben und Denken.” (Volkmann Schluck)
Die archaische Initiation bietet zwar die Unmittelbarkeit und Überzeugung einer transzendenten Empirie, diese aber bleibt individuell und gesellschaftlich nur potentielle Grundlegung, so sie nicht geistig-gedanklich (kulturell) ausgefüllt wird und so zur Kenntnis, zur Gnosis als natürlichem Zustand des Vollzuges Aller gereicht und entsprechend ein intellektuell und bewußtheitsgemäß (durchaus kollektives) Kontinuum hervorbringt.
Freiheit von Konvention, Wahlmöglichkeit und Distanz bzw. Befähigung zum Selbstentwurf sind vonnöten, um diese geistige Disposition der Größe zu entwickeln.

“Für Plotin ist der Seinssinn das Denken, das zwar das Eine intendiert, aber das Begriffene zur Vielheit gedachter Unterschiede werden läßt und so selbst zum Sein des Vielen wird.” (Volkmann Schluck)
Nun könnte man sagen, dieser Satz negiere den Telos zur Einheit, da er in der Richtung zur Vielwerdung eine Abriegelung vornimmt. Tatsächlich aber wird hier aufgezeigt, daß die denkende Tätigkeit Ausfüllung des (endlosen, unbegrenzten) Seins im ontischen Sinne erst bedingt (die im Tätigsein höchstes Streben und Freiheit meint), denn (alles) Sein ist geistig und das Denkende gebiert es als feinstoffliche Tat. Hiermit ist die Kontinuität der Progression – ein Streben zur Totalität als ihr eigenes Signum – hergestellt. Ein geteiltes Sein, das zwischen transzendentem Erleben und einer profanen ‘Normalität’ – die (gesellschaftlich) unfreien und ritualisierenden Charakter annimmt – unterscheidet, vermag dies in keiner Weise.