Ganz werden

Carlos Castaneda: ” ‘Die Meisterschaft des Bewußtseins ist es, die dem Montagepunkt einen Schub versetzt. Immerhin hat’s mit uns Menschen nicht viel auf sich: wir sind im wesentlichen ein Montagepunkt, der an eine bestimmte Position fixiert ist. Unser Feind, und zugleich unser Freund, ist der innere Dialog, unser inneres Inventar. Sei ein Krieger. Schalte deinen inneren Dialog ab. Mache dein Inventar und wirf es aus dem Fenster. Die neuen Seher legen sorgfältige Inventare an und lachen am Ende darüber. Ohne das Inventar wird der Montagepunkt frei.’
Don Juan erinnerte mich daran, daß er viel über den stabilsten Aspekt unseres menschlichen Inventars gesprochen habe: unsere Vorstellung Gottes. Dieser Aspekt, sagte er, wirke wie ein starker Leim, der den Montagepunkt an seine ursprüngliche Position binde. Falls ich aber eine andere wahrhafte Welt, aus einem anderen großen Emanationen-Band montieren wolle, müsse ich einen unvermeidlichen Schritt tun und meinen Montagepunkt von all diesen Dingen freimachen.”

Das Anhängen an religiösen Dogmen nimmt dem Menschen die Möglichkeit zur Initiative und Entwicklung. Der Mensch soll sich jedoch komplettieren, indem er seiner Position im Universum und der Zeitlichkeit angesichts seiner eigentlichen Potenz gewahr wird. Dies gelingt zuletzt mit Wissen und Erfahrung sowie durch energetische Hebung im Bewußtsein auf die eigene unbegrenzte Kraft und ihren Telos, ihrer Möglichkeit zur Befreiung aus der Fixierung und (Welten-) Reduktion. Die Anbetung hingegen manifestiert die eigene Schwäche und Handlungsunfähigkeit, affimiert Welt und Materie, delegiert die spirituelle Initiative nämlich an ein Ens – also wiederum an ein Bild als einer Manifestation aus dem doch allem Ureigenen und hält den Menschen also ganz in Abhängigkeiten seiner eigenen begrenzenden Emanationen, läßt ihn an einem Platz der Schwachheit und Erstarrung, der ihm nicht gebührt. Denn er ist genau zum Gegenteil berufen: Er muß sich seiner wahren Ausdehnung und Autonomie vergewissern und alle Initiative ergreifen, die Bewußtheit über seine Eigentlichkeit voranzubringen und entsprechend ganz zu werden – jenseits aller Bilder.