Hegel und Gunas

Wladimir Solowjew über Hegel:
“Die Notwendigkeit und das bewegende Prinzip des dialektischen Prozesses liegen im Begriff des Absoluten selbt. Als solches kann dieses sich nicht einfach negativ zu seinem Gegensatz (dem Nichtabsoluten, Endlichen) verhalten, es muß ihn in sich selbst enthalten; sonst – wenn es denselben außer sich hätte – wäre es dadurch beschränkt; das Endliche wäre eine eigenständige Grenze des Absoluten, das somit selbst zu einem Endlichen würde. Also offenbart sich der wahre Charakter des Absoluten in seiner Selbstverneinung, in der Setzung eines Gegensatzes oder des Anderen; dieses aber, vom Absoluten selbst gesetzt, ist dessen eigenes Spiegelbild, und in diesem seinem Außersichsein oder Anderssein findet das Absolute sich selbst und kehrt als verwirklichte Einheit seiner und seines Anderen in sich zurück. Da jedoch das Absolute das ist, was in allem ist, so bildet dieser Prozeß das Gesetz einer jeden Wirklichkeit. Die in allem verborgene Kraft der absoluten Wahrheit sprengt die Begrenztheit der partiellen Bestimmungen, reißt sie aus ihrer Trägheit, zwingt sie, in ein Anderes überzugehen und in einer neuen, wahrhafteren und freieren Form zu sich zurückzukehren.”

Dieses (Welt-) Prinzip ließe sich auf die Psychologie des Individuums übertragen und in dem Kontext mit der ursprünglich aus dem Samkhya-System entstammenden Konzeption der drei Gunas (als charakterbestimmende Grundbestandteile der Materie) assoziieren. Die Dialektik bildet sich dabei als (weltaffirmativer) dynamischer Prozeß der Seele ab, hier assoziiert mit der Qualität rajas (Wirkkraft und Unruhe). Dieser das individuelle Sein mehrheitlich bestimmende und mit dem Somatischen völlig verwobene Seelenzustand ist dabei nur dann überhaupt als Vollzug im teleologischen Sinne zu bewerten, wenn in der Verschiedenheit der Gefühlszustände und der dadurch erwirkten Erfahrungen einst durch eine Summierung eine Tendenz zur Selbst-Überwindung entfaltet wird, die den Radius dieser typisch menschlichen, ganz nach dem Hiesigen gerichteten Emotionalität und Interessenlage übersteigt, was die Seele dem Bereich des sattva (benannt als Klarheit, Reinheit, Güte) näherkommen läßt.
Und die soziologisch-globale Implikation: Nur jene Gesellschaft, die über dieser rajas – Dialektik stünde,verfügte überhaupt über genügend Reife, sich zu einem sich Einigenden zu verbinden. Die ‘Begrenztheit der partiellen Bestimmung’ wäre nur als aufhebbar zu bezeichnen, wenn die Zielsetzung in der Progression der Teleologie aus sich selbst als notwendiger Vollzug Ermöglichung fände. Ist der Widerstreit aber nur äußerlich dynamisch und handelt von dem, was wesenhaft die Teleologie der Geistig-Werdung unterminiert, meint er eine negative, antiprogressive Dynamik, eine Bewegung der Restriktion und Regression als Folge einer defizitär-menschlichen Okkupation des selbsterschließerischen Impetus des sattva-Zustandes. Hier wird die Disposition rajas gar in die Qualität tamas (für Dunkelheit, Dumpfheit, Chaos) übergeleitet, es handelt sich um eine Bewegung zur Erstarrung, zur Manifestation der Unbewußtheit, des Nichtwissens und der Abkehr vom Geist, und somit zuletzt schlicht um eine qualitative Hinwendung zum Bösen selbt.
Dies aber ist Signum der nicht bereiten Welt: Das Geistige muß derart unterliegen, als innerhalb dieses Zustandes, der selbst Welt manifestiert, sattva (objektiviert) nicht trägt, da Welt in manifester, schwerer Form eben bereits Nachweis des fehlenden sattva-Zustandes ausmacht. Daher ist diese Welt lediglich Objekt des Impetus zu ihrer Überwindung, daher auch sagt Jesus aus der Höhe seiner Geistigkeit und Überlegenheit: “Mein Reich ist nicht von dieser Welt.” Daher auch lesen wir in Platons Phaidon: “Beim Betrachten des reinen Denkens scheint uns gewissermaßen die Todesgöttin mit sich davonzuführen.”
Die Verwirklichung des Ideals eines – beschworenen – (immanenten) harmonischen und gütigen Universalismus kann somit eigentlich nur mit dem Ende der Weltgeschichte zusammenfallen, oder anders gesagt wäre eine solche Transformation der Welt in der Immanenz zugleich eine Form der globalen Transzendenz und bedeutete eine Welt- (bzw. Mensch-) Überwindung. Im Umkehrschluß ist die Fokussierung der universalen Proklamation auf die Hiesigkeit Ausweis einer geistfeindlichen oder geist-leugnenden Anschauung. Hierzu aber Peter Strasser: “Der Gott der Immanenzverdichtung ist der Teufel, der seelenlose Demiurg. Auf die Frage, wohinein sich das immanenzverdichtete Universum ausdehne, lautet die Antwort:hinein ins Nichts, in den Abgrund und Ursprung des Radikalbösen.”
Voraussetzung zur Progression und so zur Sinnerfüllung des dialektischen Prinzips ist somit die Unnachgiebigkeit geistiger Prinzipien gegenüber dem Ungeistigen, dies quasi paradoxerweise in der Überwindung des Dialektischen, aber aus dem Dialektischen (gemäß dem Bild der Vertikale in der Horizontale). Somit ist zur Überwindung der Dialektik (und somit der Welt) in dieser Welt, die Außerdialektik des Vollzuges sattva gemeint. Diese Qualität hat dabei aber – wie schon oben erwähnt – viel eher einen selbsterschließerischen Antrieb, als daß sie dem individuellen Willen unterworfen wäre – ein weiterer Hinweis auf die Unmöglichkeit etwaiger (politischer) Verordnungen zur Welt-Harmonie (aus dem rajas-Zustand). Das Ungeistige hingegen hat hier lediglich den Sinn, die Überlegenheit des Geistigen zu konturieren und soll von diesem – dies ist derAuftrag des Wissenden- in seiner Inferiorität bekannt gemacht und entsprechend zurückgewiesen werden.

Anfügung zum Prinzip der Gunas:
“Nach Aurobindo ist eine wirksame Beeinflussung dieser drei Eigenschaften durch das Ich nicht möglich, da es selbst Teil der Prakriti und damit Teil der Gunas sei. Weiterhin heißt es, eine Beherrschung von Rajas, des Begehrens und der Leidenschaft, durch strenge Disziplin berge die Gefahr, dass neben einem stillen Frieden sich die Kräfte der Trägheit ausbilden und die positiven Kräfte der Dynamik verloren gehen.
Eine wirkliche Beeinflussung der Gunas könne demzufolge im Yoga nur durch den verborgenen Purusha (die Seele) erfolgen. Dazu müsse in einem Prozess des Yogas, der Purusha aus den Verwicklungen der Gunas gelöst werden und sich als stiller Beobachter über sie positionieren.
Er könne dann beobachten, wie die „Wellen“ der Gunas auf- und absteigen und lernen, seine eigene Natur zu verstehen. In einem zweiten Schritt würde es ihm dann möglich sein, diese Natur zu beeinflussen. ” (Netz-Quelle)