Eigene Unendlichkeit

“Die Entdeckung des göttlichen, absolut Unendlichen selbst als des Grundes der eigenen (abkünftigen) Unendlichkeit (die sich in der unendlichen Kraft des Geistes manifestiert), die Möglichkeit einer denkenden Berührung mit der ‘Unendlichkeit selbst’, gibt dem Geist in Ficinos Sinne die Gewißheit eines unendlichen Lebens auch nach dem Tode des ‘Endlich -Unendlichen’. Dies gerade aus Grundintensionen des platonischen und neuplatonischen Philosophierens heraus zu erweisen und dadurch einen zumindest für diese Zeit zentralen christlichen Gedanken zu bestärken, ist das systematische Ziel von Ficinos Hauptwerk Platonica Theologica.” (W.Beierwaltes)

Hierzu zwei Assoziationen, die erste kirchenkritischer Art:
Die Kirche hat sich in ihrem Fragen ganz nach der Welt zugeneigt – ihr wird der Geistbegriff gar nicht zum wesenhaften, konkreten, ihn ins Stoffliche ziehenden – Gegenstand der (immanenten) Betrachtung, schon gar nicht im Sinne eines dem Menschen eigen-Seienden. Begriffe wie Inspiration und Ingenium sind zudem kaum ableit- oder begründbar, da innerhalb der Abgeschlossenheit eines Lehrgebäudes und Gotteswortes eben “Geist” als wesenhaft Nicht– Abgeschlossenes seinem freien unbegrenzbaren Wesen gemäß nicht in die Lage versetzt ist, seiner Eigen-Wirkung – die hierbei ein Denken vom Einen her zum Objekt implizieren muß – adäquat nachzukommen. Gerade die Glaubenspraktiken der Bitte, Repetition und Auslegung binden nicht an jenen originären Charakter von Geist zurück, man bemüht zur Verursachung vielmehr ein fremdes Agens- und so wird Geist in seiner Wirksamkeit zur – vermuteten – Gabe, bleibt seine vermeintliche Mitteilsamkeit doch ganz im Subjektiven, im Vagen, findet sich kein Instrumentarium zur Entfachung, Entwicklung und Verstetigung (im Eigenen), das sich zu seinem gelebten Eigensein steigern will. Alles bleibt allgemein und von Außen ‘zugestanden’. Hierher rühren theologische Topoi wie “in die Gnade stellen” oder die Suche nach äußeren -also materiellen – Gnadenerweisen als die Außeneinwirkung eines Anderen. Der Begriff des (höheren) Selbst, der zuletzt im Eidos wurzelt ist dem Theist aus seiner Lehre heraus immer fremd, ja anstößig geblieben.

Und auf künstlerische Intention bezogen:
Das Wort von einer “unendlichen Kraft” impliziert eine Verwurzelung im Allertiefsten, so daß es zur Aufgabe wird, wie aus einem solchen Brunnen danach zu schöpfen. Die Schöpfung, das Hervorgebrachte, ist somit unerkundet, kommt aus dem Unbeschrittenen, hat damit Qualität eines Neuen, hervorgeholt aus dem Ungesehenen. Die Aufgabe des Künstlers, der dem Ingenium verpflichtet ist, ist es, dieser Suche nachkommend – alles fortzutun, was die tiefsten Schichten verstellen kann – Fremdeinwirkung, Konvention, Prägung, Erwartung, Interessen der Aussenwirksamkeit usw. müssen ganz nach hinten gestellt sein, um diesen Zugang zum Unendlichen “Grunde der eigenen (abkünftigen)Unendlichkeit ” erst möglich werden zu lassen.