Ismen

C.G. Jung: “Je größer die Ladung des kollektiven Bewußtseins, desto mehr verliert das Ich seine praktische Bedeutung. Es wird von den Meinungen und Tendenzen des kollektiven Bewußtseins gewissermaßen aufgesogen, und dadurch entsteht der Massenmensch, der stets einem -ismus verfallen ist. Das Ich bewahrt nur eine Selbstständigkeit, wenn es sich nicht mit einem der Gegensätze identifiziert, sondern die Mitte zwischen den Gegensätzen zu halten versteht. Dies ist aber nur dann möglich, wenn es sich nicht nur des einen, sondern auch des anderen bewußt ist. Die Einsicht wird ihm allerdings nicht nur von seinen sozialen und politischen Führern schwer gemacht, sondern auch von seinen religiösen. Alle wollen die Entscheidung für das eine und damit die restlose Identifizierung des Individuums mit einer notwendigerweise einseitigen ‘Wahrheit’. Selbst wenn es sich um eine große Wahrheit handeln sollte, so wäre die Identifizierung damit doch so etwas wie eine Katastrophe, indem sie nämlich die weitere geistige Entwicklung stillstellt. Anstatt Erkenntnis hat man dann nur noch Überzeugung, und das ist manchmal viel bequemer und darum anziehender.”

C.G. Jung beschreibt hier nicht weniger als das Wesen heutiger gesellschaftlicher Verfasstheiten und ihrer zugehörigen (verengten) Diskurse.
Man könnte nun allerdings der ‘Überzeugung’ selbst ein Wort reden, indem man ihr zubilligte, sie beruhe eben auf Erkenntnis, allerdings müßte die Erkenntnis hierzu auf eruierbare Datenlagen (oder aber bezogen auf die Grundlegung der Sozietät auf ‘evidentes Charisma‘ ) zurückgreifen können. Gerade die originären umfassenden Ismen (die Theismen also) – diese haben heute mehr gesellschaftlichen Durchsatz als etwas noch vor wenigen Jahrzehnten – verneinen hingegen überhaupt die Erkenntnis als Möglichkeit und ersetzen diese durch die Glaubensaufforderung. Es handelt sich daher gar nur im ‘besten Falle’ um Überzeugungen, und da diese kaum ernsthaft zu verteidigen sind, sind sie von dem, der sie proklamiert, auch umso lauter auszurufen. Der Menge indes sind sie zu oktroyieren, daß sie überhaupt zu einer Wirkung kommen. Auch hierzu hat C.G. Jung ein passendes Wort: “Fanatismus findet sich nur bei solchen, die einen inneren Zweifel zu übertönen suchen.”