Jenseits der Gnade

Meister Eckhart sagt: “Am Mensch aber bewirkt das Licht Seligkeit. Das kommt von der Gnade Gottes: die erhebt die Seele auf zu Gott und vereinigt sie mit ihm und macht sie gottförmig. Soll die Seele göttlich sein, so muß sie emporgehoben sein. Sollte ein Mensch bis hinauf auf einen Turm reichen, so müßte er so emporgehoben sein, wie der Turm ist: so (auch) muß die Gnade die Seele bis zu Gott erheben. Der Gnade Werk ist, zu ziehen und bis an’s Ende zu ziehen, und wer ihr nicht folgt, der wird unglücklich. Dennoch genügt’s der Seele nicht am Werk der Gnade, weil diese eine Kreatur ist; sie muß vielmehr dahin gelangen, wo Gott in seiner eigenen Natur wirkt, wo der Werkmeister entsprechend der Edelkeit des Werkzeuges, das heißt: in seiner eigenen Natur wirkt, wo das Werk so edel ist wie der Werkmeister, und der, der sich ergießt, und das Ergossene völlig eins sind. Sankt Dionysius sagt, daß die obersten Dinge sich auf die niedersten und die niedersten in die obersten ergießen und sich mit den obersten vereinigen. So auch wird die Seele mit Gott vereint und umschlossen, und dort entgleitet ihr die Gnade, so daß sie (nun) nicht weiter mit der Gnade wirkt, sondern göttlich in Gott. Da wird die Seele auf wunderbare Weise bezaubert und verliert sich selbst, wie wenn einer einen Tropfen Wasser in eine Bütte voll Weins gösse, so daß sie von sich selbst nichts (mehr) weiß und wähnt, sie sei Gott.”

Plotin: “Wenn er (der Schauende) aber selbst von der Art ist, daß er alles ist, dann vernimmt er zugleich alles, wenn er sich selbst vernimmt; daher hält er im Blick auf sich selbst und sich selbst wirklich sehend, alles umfaßt, und im Hinblicken auf das Ganze hält er sich selbst umfaßt.’

Volkmann-Schluck zum Neuplatonismus: “Die Wesensbestimmung eines Seienden, das sich selbst in der Vollendung seiner Möglichkeit denkt, erlaubt nun auch eine genauere ontologische Charaktersitik der Seele: Sie ist eine defiziente Form der vollen Gegenwärtigung seiner selbt.”

Erkennt der Mensch nun diese Bestimmung, ist er wörtlich geneigt zum Eigentlichen, und hierin besteht die Erhebung – der Mensch schwingt sich selbst empor und gewährt sich selber den Zugang zum Göttlichen, es wird sein Werk, sich zu vollenden, daß er einst nicht mehr ist als Mensch oder aber in ganz anderem Sinne überhaupt erst wird. Denn der Mensch ist nur als Gott.